Spricht man heute das Thema Feminismus an und stellt die provokante Frage, auf welchem Gebiet Frauen im Jahr 2023 noch um Gleichberechtigung kämpfen, bekommt man als Antwort so gut wie immer: bei der Bezahlung.

Der Ausdruck, der sich durchgesetzt hat, für dieses Phänomen ist Gender Pay Gap. Damit ist gemeint, wie groß der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist, wenn es um das Einkommen geht. Und da fangen die Missverständnisse auch schon an.

Gehen wir also die wichtigsten Punkte durch:

  • Was ist der Gender Pay Gap? 
  • Was ist der bereinigte Gender Pay Gap?
  • Können wir den Gender Pay Gap schließen?

Was ist der Gender Pay Gap?

Damit ist gemeint, wie groß der Unterschied der Einkommen der Männer und der Einkommen der Frauen ist. Korrekt muss man vom unbereinigten Gender Pay Gap sprechen. Betrachten wir genauer, wie dieser aufgestellt wird. Das Statistische Bundesamt nutzt dazu die Vorgaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union, um internationale Vergleichbarkeit herzustellen (unter Punkt 2.1). Es wird die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten männlicher und weiblicher Beschäftigter gebildet.

Das Ergebnis wird als Prozentsatz bezogen auf den durchschnittlichen Verdienst der männlichen Beschäftigten dargestellt. Wäre der durchschnittliche Stundenverdienst männlicher Beschäftigter bei 20 € und der von weiblichen Beschäftigter bei 18 €, dann läge der Gender Pay Gap bei 10 % (20-18=2 und 2 sind 10 % von 20). Der Gender Pay Gap 2021 lag in der Berechnung des Statistischen Bundesamtes bei 18 %. Das bedeutet, dass das Durchschnittseinkommen der Frauen 18 % unter dem Durchschnittseinkommen der Männer lag. Wo ein Mann also im Schnitt 100 € verdient hat, hat eine Frau im Schnitt 82 € verdient, oder? Ja und nein.

Gender-Pay-Gap beim Statistischen Bundesamt

Was ist der bereinigte Gender Pay Gap?

Wir haben gerade gelernt, dass Frauen 18 % weniger verdienen als Männer. Daraus ergeben sich aber viele Fragen, die in dem Zusammenhang oft unzureichend beleuchtet werden. Warum stellen Unternehmen dann nicht verstärkt Frauen ein, wenn sie diesen doch 18 % weniger zahlen können? In Deutschland ist es verboten nach Geschlecht bei der Bezahlung zu diskriminieren. Warum sehen wir keine Klagewelle? Heißt 18 % weniger, bei gleicher Arbeit, gleicher Erfahrung und gleicher Opferbereitschaft? Was sind also die Gründe für den Gender Pay Gap?

In dem oben beschriebenen unbereinigten Gender Pay Gap werden keine Faktoren wie Branche, Qualifikation, Tätigkeit, durchschnittliche Wochenstunden, Berufserfahrung oder ähnliches berücksichtigt. Sehen wir uns kurz die Branche ein wenig an. Was meinen Sie, ist der Beruf in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Männern respektive Frauen?

Für Männer ist es der Maurer mit 99,9 % und für Frauen ist es die Kosmetikerin mit einem Anteil von 96,6 %. Was verdient aber ein Maurer im Schnitt und was verdient eine Kosmetikerin im Schnitt? Beim Maurer liegen wir bei einem Einstiegsgehalt von 2.200 € bis 2.700 €, also im Mittel bei 2.450 €. Bei der Kosmetikerin liegt das Einstiegsgehalt zwischen 1.500 € und 1.900 €, also im Mittel bei 1.700 €. Der Maurer liegt fast um das Anderthalbfache über dem der Kosmetikerin. Oder anders, die Kosmetikerin verdient ca. 30 % weniger als der Maurer. Hier ist also nicht die Diskriminierung, sondern die Präferenz entscheidend.

Generell tendieren Frauen dazu, Berufe zu wählen, die direkt mit Menschen zu tun haben. Kosmetikerin, Friseurin, Ärztin, Pflegerin, Erzieherin und so weiter. Männer tendieren dazu, Berufe zu wählen, die sich mit Dingen beschäftigen. Mechaniker, Maschinist, Ingenieur, Programmierer und Ähnliches. Nun ist es aber Berufen, die direkt am Kunden stattfinden, zu eigen, dass man sie nur schlecht skalieren kann.

Ein Friseur kann in 200 Stunden sagen wir mal 400 Leuten die Haare schneiden. Er kann sein Produkt „Haarschnitt“ also in 200 Stunden Arbeit 400-mal verkaufen. Eine Steigerung ist nicht möglich. Ein Programmierer kann in 200 Stunden ein Programm schreiben, dass er dann 100.000-mal verkaufen kann. Oder 1 Mio. mal oder mehr. Es ist also leicht skalierbar.

Daher sind Berufe, die skalierbar sind, oft viel besser bezahlt, als Berufe, die nicht skalierbar sind. Sie merken jetzt zu Recht an, dass der Maurer auch nicht skalierbar ist. Allerdings ist Maurer eine körperlich harte Arbeit, die im Freien und unter höherem Risiko als Kosmetikerin stattfindet. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle.

Männer arbeiten weniger häufig in Teilzeit, Männer machen bei Vollzeit mehr Überstunden als Frauen, Männer sind eher bereit, Arbeiten im Freien durchzuführen, Männer sind eher bereit dazu körperlich harte Arbeiten durchzuführen, Männer sind eher bereit, den Wohnort für einen Arbeitsplatz zu wechseln, Männer sind eher bereit, riskante Arbeiten anzunehmen, Frauen fallen durch Schwangerschaften für Jahre aus und haben dadurch bei gleichem Alter oft geringere Berufserfahrungen, Männer priorisieren monetäre Beziehungen höher. Darüber hinaus ist der Maurer im Vergleich zum Kosmetiker, sagen wir mal, systemrelevanter. Die Gesellschaft würde nicht morgen zusammenbrechen, wenn es keine Kosmetiker mehr gibt. Bei Maurern sieht das schon anders aus.

Erlauben Sie mir, das Ganze um eine Anekdote aus meiner beruflichen Erfahrung zu ergänzen. Letztens saß ich mit dem Geschäftsführer eines mittleren kommunalen Energieversorgers zusammen. Da geht es sicher nicht um ein Millionengehalt, das der Mann bekommt. Es wird sicher im angenehmen sechsstelligen Bereich liegen und man wird gut oder sehr gut davon leben können. Er hatte den Job erst vor kurzem angenommen. Seine Frau und seine beiden Kinder wohnen aber weiterhin in seiner vorherigen Heimat, die fast 400 km entfernt liegt. Nicht ohne gut beherrschte Wehmut merkte er an, dass er die meisten Abende alleine verbringt und seine Kinder nur selten sieht. Eben solche Lebensentscheidungen werden häufiger von Männern getroffen, da Frauen das Familienleben höher priorisieren.

Wie sieht es aber aus, wenn Frauen und Männer bei gleicher Erfahrung in derselben Branche gleiche Arbeitszeiten abliefern? Dann tendiert der Gender Pay Gap gegen null. Der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap in Deutschland vom Statistischen Bundesamt wird mit 6 % angegeben. Dabei werden aber nur Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien berücksichtigt. In anderen Untersuchungen (z.B. vom Institut der Deutschen Wirtschaft) führen weitere Korrekturen nach Erfahrung, Arbeitszeit, Wechselbereitschaft usw. zu 1 %- 5 % Rest Gap. Eine Untersuchung von Google über alle Mitarbeiter hat ergeben, dass Frauen im Schnitt mehr verdienen. Und hierbei sprechen wir von mehr verdienen für die gleiche Tätigkeit.

Können wir den Gender Pay Gap schließen?

Wir haben bisher gelernt, dass am Gender Pay Gap nicht direkte Diskriminierung schuld ist, sondern das Präferenzverhalten von Frau und Mann. Kann es aber sein, dass es indirekte Diskriminierung gibt? Also, dass unsere Gesellschaft oder Erziehung Männer eher eine Präferenz in Richtung von Dingen vermittelt, und Frauen eher in Richtung Personen gedrängt werden? Und können wir dann nicht, durch geeignete politische oder gesellschaftliche Maßnahmen dagegen arbeiten?

Nun, wie wäre es, wenn wir die unterschiedlichen Nationen und das jeweilige Präferenzverhalten der Einwohner betrachten? Wir haben Länder, die bereits sehr viele politische und gesellschaftliche Maßnahmen ergreifen, um Frauen in traditionelle Männerberufe zu bekommen und umgekehrt. Die Vorreiter weltweit sind die skandinavischen Länder wie Schweden, Dänemark oder Norwegen. Und wir haben natürlich Länder, die noch stark in traditionellen Rollenbildern denken und die Frau eher im Haushalt als im Büro am Computer sehen (oder als Maurer…). Was können wir also beobachten?

Seit Jahrzehnten werden diese Betrachtungen gemacht und was wir sehen können, ist als sogenanntes Gender-Paradoxon bekannt geworden. Eigentlich würden wir erwarten, dass die skandinavischen Länder einen höheren Anteil von Frauen haben, die sich für z.B. Computerwissenschaften interessieren, als, sagen wir mal, Algerien. Aber das Umgekehrte ist der Fall. In keinem Land weltweit ist das Interesse an MINT Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) so gering wie in den skandinavischen Ländern. Und in keinem Land so hoch wie in Algerien.

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Wenn wir also unterstellen, dass die politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen tatsächlich den gesellschaftlichen Druck vermindern, Frauen in traditionelle Rollen zu drücken, dann scheinen die biologischen Einflüsse stärker in den Vordergrund zu treten.

In einer aktuellen Untersuchung hat man an der Stanforduniversity die Einkünfte von Uber-Fahreren verglichen. Dabei wurde festgestellt, dass Frauen über 7 % geringere Einkünfte haben als Männer. Eine Diskriminierung ist durch Uber direkt nicht möglich, da sich jeder einfach als Subunternehmer anmelden kann. In der Untersuchung wurden drei Gründe gefunden, die diesen Unterschied erklären. Männer tendieren dazu, länger als Fahrer zu arbeiten und profitieren dadurch von längerer Berufserfahrung (je länger ich in einem Beruf arbeite, desto eher tendiere ich dazu, mehr zu verdienen), Männer waren eher dazu bereit an riskanteren Orten oder zu unangenehmen Zeiten zu fahren, und über 50 % des Unterschiedes erklärte sich durch die Bereitschaft der Männer schneller zu fahren.

Jetzt können wir uns fragen, können wir den Gender Pay Gap beseitigen? Nun, sicher fallen uns harte gesetzliche Maßnahmen ein, die das erreichen könnten. Die bessere Frage ist aber, wollen wir den Gender Pay Gap beseitigen? 

Nur wenn wir annehmen, dass Männer und Frauen über die gleichen Voraussetzungen und die gleichen Präferenzen verfügen, wäre es sinnvoll eine komplett gleiche Bezahlung zu erwarten. Das Geschlecht sollte bei der Bezahlung keine Rolle spielen. Nach allem, was wir gelernt haben, tut es das auch nicht. Zumindest fast. Wenn wir die restliche 1 % – 5 % Gender Pay Gap als Diskriminierung akzeptieren, dann beutet das im Umkehrschluss, dass für 95 % –  99 % meines Einkommens, meine Entscheidungen und meine Persönlichkeit verantwortlich sind.

Wollen wir tatsächlich einen Einfluss ausüben, müssen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Denn nur so werden Frauen und Männer andere Lebensentscheidungen treffen.

Sollte also demnächst der Gender Pay Gap zur Sprache kommen, sollten Sie eingangs fragen, ob man vom unbereinigten Gender Pay Gap zwischen z.B. einer Erzieherin in Teilzeit und einem Programmierer mit Überstunden spricht, der bei durchschnittlich ca. 20 % liegt, oder ob der bereinigte Gender Pay Gap gemeint ist, also bei gleicher Branche, gleichem Beruf, gleicher Berufserfahrung, gleicher Tätigkeit, gleicher Arbeitszeit, gleicher Bereitschaft zu Überstunden, gleicher Bereitschaft den Wohnort für den Arbeitgeber zu wechseln, gleicher Bereitschaft im Freien zu Arbeiten, gleicher Bereitschaft riskante Tätigkeiten auszuüben, gleicher Bereitschaft offensiv in Gehaltsverhandlungen zu gehen, gleiche Bereitschaft monetäre Beziehungen höher zu priorisieren, der bei Berücksichtigung all dieser Faktoren wahrscheinlich kleiner als 1 % ist.