Ich bin im Jahr 1982 geboren, ein Kind der 80er und verlebte meine Jugend in den 90ern, geprägt von Bravo und Baywatch, oder in meinem Fall, geprägt von dem White Dwarf und ‘Star Trek The Next Generation’. Ich hatte in meiner Jugend einen Job im produzierenden Gewerbe. Dort spülte ich Kapillarrohre, machte die Qualitätsprüfung von Bauteilen oder schraubte einzelne Komponenten eines Probengebers oder der Optik zusammen. Am Ende kam als Produkt ein chemischer Chromatograf raus.
Ein Mitarbeiter in diesem Unternehmen wollte kein Mann mehr sein. Ich kannte den Herren kaum, ich glaube, er saß oben, in der Softwareentwicklung, während ich unten bei den Arbeitern in der Produktion meinen Dienst verrichtete. Also war der Herr dann eine Dame, kleidete sich entsprechend und wurde, nach allem was ich mitbekam, auch so behandelt. Ob der Herr oder die Dame medizinische Maßnahmen ergriffen hat, um seine Erscheinung über die Garderobe hinweg weiter dem gewünschten Geschlecht anzugleichen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war das mein erster Kontakt mit dem Thema Transsexualität, wie man in den 90ern noch sagte.
Heute sprechen wir davon, dass man sich sein Gender auswählen kann. Sagen wir zwar nicht so, wir sprechen davon, sich sein Geschlecht aussuchen zu können, meinen aber Gender, wenn es ums Aussuchen geht. Die deutsche Sprache ist da um einen Begriff ärmer als die englische. Im Englischen unterscheidet man zwischen ‘sex’ und ‘gender’. Der erste Begriff meint das biologische Geschlecht, der zweite Begriff meint das, ja was eigentlich? Was bedeutete der immer häufiger gebrauchte Begriff ‘Gender’ und woher kommt er?
Wie wird Gender definiert und woher kommt der Begriff
Nehmen wir einmal eine zeitgenössische Definition und schauen, wie weit wir damit kommen. Auf der Seite Genderdings finden wir folgendes: „„Gender“ ist ein englisches Wort für Geschlecht. Genauer: für das soziale, das gelebte und gefühlte Geschlecht, im Unterschied zu „sex“, dem bei Geburt aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesenen Geschlecht.“
Dass das Englische hier zwei Begriffe hat, wussten wir ja schon. Neu ist jetzt, dass Gender das soziale, gelebte und gefühlte Geschlecht meint. Alternativ kann man auch von Geschlechtsidentität sprechen, wie wir weiter unten auf der Seite finden. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang dann immer schnell ergibt, ist, wie viele Geschlechter oder Geschlechtsidentitäten gibt es denn? Wir erfahren, viele, sehr viele, auf jeden Fall mehr als zwei und vielleicht so viele wie es Menschen gibt. Wir kommen später nochmal auf die Geschlechtsidentität und ihre Anzahl.
Aber woher kommt der Begriff Gender denn nun? Im Englischen, so habe ich es noch gelernt, steht Gender seit Jahrzehnten nur für das grammatikalische Geschlecht von Wörtern. Im Deutschen ist der Ausdruck dafür das Genus. Erst 1955 wird der Begriff für die Geschlechtsidentität benutzt. Und zwar von einem Mann namens John Money (er hatte auch die Begriffe Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen eingeführt).
Er meinte damit ein soziales Geschlecht, das von dem biologischen Geschlecht unterschiedliche sein könne. Frei nach Simone de Beauvoir, die schrieb, zu einer Frau wird man gemacht, ging Money davon aus, dass unsere Geschlechtsidentität ein soziales Konstrukt ist. In seiner Vorstellung reduziert die Gesellschaft die Diversität der Geschlechter künstlich oder konstruiert auf lediglich zwei, männlich und weiblich. Weiter war er der Überzeugung, dass man einen Jungen nur durch Erziehung zu einem Jungen macht.
Der Fall Bruce/Brenda oder John/Joan
Money bekam auch eines Tages die Chance, seine Theorie zu testen. Die Familie Reimer kam zu ihm mit ihrem Sohn Bruce. Er hatte eine Vorhautverengung und bei dem Versuch diese zu beheben war der Penis irreparabel beschädigt worden. Money sah seine Chance und empfahl der Familie die Kastration und den rudimentären Aufbau weiblicher Genitalien und die Erziehung von Bruce als Brenda, also als Mädchen. Wichtig dabei sei, dass Bruce/Brenda niemals erfahren dürfe, dass er eigentlich, zumindest biologisch, einmal ein Junge gewesen ist.
Bruce bekam ab dem 12. Lebensjahr weibliche Hormone. Interessant war auch, dass Bruce einen Zwillingsbruder hatte. Es wurden auch jährliche Termine vereinbart, in denen Money die Kinder untersuchte und den Fortschritt dokumentierte. Money war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und veröffentlichte Arbeiten über seinen erfolgreichen Beweis, dass ein Junge einfach zu einem Mädchen werden konnte, wie zum Beispiel „Transsexualism and Sex Reassignment“ im Jahr 1969.
In der Literatur wurde der Fall als „John/Joan“ berühmt, so nannte Money Bruce/Brenda in seinen Werken. Dafür war nur notwendig, dass man ihn als Mädchen behandelt, die Geschlechtsteile angleicht und ihm Hormone gibt. Diese Erkenntnisse wurden über Jahrzehnte so an den unterschiedlichen Universitäten unterrichtet und sind die Basis für die heutigen Forderungen, die unter anderem in Deutschen Selbstbestimmungsgesetz Eingang gefunden haben.
Aber was wurde tatsächlich aus Bruce? Erst 1997 wurde in „Archives of Adolescent and Pediatric Medicine“ bekannt, dass das Experiment gescheitert war. Brenda benahm sich nie wie ein Mädchen, sie interessierte sich nicht für Puppen und Schmuck, sondern für das Spielzeug ihres Bruders, Autos und Waffen. Sie tobte und raufte und wollte nur Hosen tragen. Sie wollte auch nie im Sitzen urinieren. Erst mit 14 fand sie heraus, dass sie einmal ein Junge war und machte daraufhin die Geschlechtsumwandlung rückgängig.
Es wurde auch bekannt, warum die Kinder nie zu den Terminen zur Untersuchung in die Johns Hopkins Gender Identity Clinic zu Dr. Money fahren wollten. Er hatte die beiden über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Money vertrat auch andere krude Ideen, um freundlich zu bleiben, wie die „sexuelle Schulung und Erziehung von Kindern“. Ich gehe an der Stelle nicht genauer darauf ein, was er damit konkret meinte. Der Bruder von Bruce/Brenda starb 2002 an einer Überdosis Medikamenten und Bruce/Brenda nahm sich im Jahr 2004 das Leben. Seine Mutter sprach davon, dass ohne John Money und sein gescheitertes Experiment ihr Sohn noch am Leben wäre.
Gender vs Geschlecht
Der Ursprung des Wortes Gender und der Idee, man könne einfach sein soziales Geschlecht wechseln, geht also auf eine, gelinde gesagt, dubiose Figur, John Money, und ein gescheitertes Experiment zurück. Aber machen wir mal weiter bei dem Versuch den Begriff und seine Definition genauer zu verstehen. Gender meint also das soziale Geschlecht oder die Geschlechtsidentität und kann vom biologischen Geschlecht abweichen. Nehmen wir uns kurz die Zeit und rekapitulieren, was das biologische Geschlecht ist und meint.
Lebewesen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, Prokaryonten und Eukaryonten. Eukaryonten haben einen Zellkern, Prokaryonten haben keinen Zellkern. Die Eukaryonten (Pflanzen, Tiere und Pilze) pflanzen sich geschlechtlich oder sexuell fort. Dabei wird die DNA von zwei Organismen kombiniert und es entsteht eine neue einmalige DNA. Ein Teil steuert dabei größere Keimzellen bei, auch Eizellen genannt, und wird als weiblich bezeichnet, und ein anderer Organismus steuert kleinere Keimzellen, oder Samenzellen, bei und wird männlich genannt. Ein anderes Geschlecht gibt es nicht.
Neben dem klar binären biologischen Geschlecht soll also die Geschlechtsidentität abweichen können und alles andere als binär sein. Die Frage, die sich aber an dieser Stelle stellt, ist, wie unterscheidet sich die Geschlechtsidentität von der Identität? Es ist klar, dass es so viele Identitäten gibt, wie es Menschen gibt. Und es ist auch klar, dass ein Teil der Identität die individuelle Sexualität ist. Was ist aber die Geschlechtsidentität? Ist es der Teil der Identität, der sich mit der Sexualität als allem rund um das Thema Geschlecht und Fortpflanzung dreht? Es scheint nicht einfach zu sein.
Genderdings widerspricht sich in dem Begriff Wirrwarr schnell selbst.
An einer Stelle finden wir: „Der Begriff ‚Gender‘ wird … genutzt: Immer dann, wenn es um das soziale Geschlecht und um Geschlechtsidentität … geht.“,
also Gender=Geschlechtsidentität/soziales Geschlecht. Oder Gender=Geschlechtsidentität,
dann finden wir: „Mit dem sozialen Geschlecht sind Geschlechterrollen gemeint.“,
also Gender= Geschlechtsidentität/soziales Geschlecht=Geschlechterrollen oder Gender=Geschlechterrollen,
und dann finden wir: „Geschlechtsidentität ist nicht das gleiche, wie Geschlechterrollen.“,
also Gender= Geschlechtsidentität ≠ Geschlechterrollen= Gender oder Gender≠Gender.
Nehmen wir, um wenigstens weiter machen zu können, trotz all der Verwirrung den Begriff Geschlechtsidentität. Damit Gender als Geschlechtsidentität aber einen Zweck erfüllt, kann sie nicht identisch sein mit der Identität, sonst wäre der Begriff überflüssig. Nehmen wir also an, dass Gender die Geschlechtsidentität als Teil der Identität meint, der alles beinhaltet, was mit Sexualität und Geschlechtlichkeit zu tun hat, ohne diese Begriffe weiter zu beleuchten. So weit würde sich keiner daran stören. Ich denke, es ist offensichtliche, dass jeder Mensch eine individuelle Sexualität hat oder eben seine eigene Geschlechtsidentität bzw. eben Gender.
Freie Wahl bei der Identität?
Jetzt ist aber die Vorstellung, dass man sich seine Geschlechtsidentität frei wählen kann, eng mit dem Begriff Gender verbunden. Grundlage hierfür ist die Theorie von John Money, die im ersten Experiment bereits gescheitert war (zugegeben, Experimente mit einer Grundgesamtheit von N=1 sind nicht sonderlich aussagekräftig). Übertragen wir das Konzept doch mal auf andere Bereich der Identität wie meine Präferenzen bei Essen. Kann ich frei wählen, was ich für Speisen ich mag? Können Sie das, werter Leser? Die einfache Beobachtung des Alltags zeigt, dass man das nicht kann. Jeder mit einem Wunsch nach einer schlanken Figur würde seine Leidenschaft für Schokolade einfach gegen eine Leidenschaft für Gurken tauschen.
Ebenfalls in den 90ern wurde ich so erzogen, dass Homosexualität angeboren ist und wir Menschen so akzeptieren müssen wie sie sind. Eine versuchte Umerziehung von Homosexuellen verstößt gegen die Menschenwürde. Und das war damals und auch heute noch durchaus Thema. Speziell fundamentale Christen sind davon überzeugt, dass man Homosexualität „heilen“ kann. Tatsächlich kann ich nicht wählen, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. Der Mensch kann auch nicht wählen, welche Merkmale oder Praktiken er sexuell als anregend empfindet und welche nicht. Das alles ist Teil der sexuellen Selbstempfindung und somit auch Teil der Geschlechtsidentität oder Teil von Gender.
Wie ist es aber mit dem Kollegen aus dem produzierenden Gewerbe aus der Anekdote in der Einleitung? Hat er sein Schicksal selbst gewählt? Ich denke nicht. Ich hatte einmal ein Gespräch mit einem Homosexuellen, der anmerkte, dass, wenn er die Wahl hätte, dann hätte er ein normales Leben gewählt. Es ist klar, dass es Menschen gibt, die sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen. Es ist darüber hinaus auch klar, dass es Menschen gibt, die sich mit dem eigenen biologischen Geschlecht unwohl fühlen. Beides bedeutet aber nicht, dass sich jeder sein Geschlecht oder seine sexuelle Präferenz frei wählen kann.
Eine sogenannte Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie muss klar diagnostiziert werden. Nicht jeder Heranwachsende, der in seiner Pubertät ein Unwohlsein gegenüber der eigenen Geschlechtsidentität entwickelt, ist automatisch im falschen Körper. Studien zeigen, dass über 80 % der Jugendlichen im späteren erwachsenen Leben das Unwohlsein ablegen. Ein Großteil davon erweist sich als Homosexuelle. Für Personen mit einer Geschlechtsinkongruenz sind unterschiedliche Behandlungen sinnvoll und hilfreich. Für Personen, deren Ursache für das empfundenen Unwohlsein mit der eigenen Geschlechtsidentität woanders liegt, sind die gleichen Behandlungen jedoch schädlich und gefährlich.
Gender meint also den Teil der Identität, der die eigene Sexualität und die eigene Geschlechtlichkeit beinhaltet. Die Vorstellung, dass man diese frei wählen könne, steht nicht in Übereinkunft, mit allem was wir von Identität wissen und im Alltag erleben. Weiter heißt das aber nicht, dass es keine Geschlechtsinkongruenz gibt, und dass man diese nicht mit z.B. Hormonen behandeln sollte. Nur vor der Behandlung, die irreversible Folgen wie Zeugungsunfähigkeit oder Unfruchtbarkeit haben kann oder einer Operation (deren Fehlerquote je nach Quelle mit 30 % bis 60 % angegeben wird) sollte eine klare psychologische Diagnose stehen, um sicherzustellen, dass die Behandlung auch die Ursache des empfundenen Unwohlseins bekämpft.
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