Kategorie: Feminismus

8 Gründe, warum ich mich dem Gendern verwehre

Wie Ihnen, werter Leser, spätestens jetzt auffallen sollte, gendere ich nicht. Ich habe die deutsche Sprache, trotz des Hindernisses der Legasthenie, lieben gelernt. Daher liegt es mir am Herzen, ihr treu zu bleiben. Heißt das nun, dass Sie, lieber Leser, automatisch ein Mann sind oder sein müssen, oder ich mich diesem Irrtum blauäugig hingebe? Keineswegs, ich nutze eine sogenannte Funktionsbezeichnung. Ich fasse alle Menschen, die diese Zeilen lesen, ihrer Funktion nach zusammen und verwehre mich somit dem Gendern.

Das bedeutet, ich messe Ihrem Geschlecht oder Ihrer Hautfarbe oder Ihrer Schuhgröße, zumindest in Bezug auf ihre Funktion als Leser, keine wesentliche Bedeutung bei. Trennende Kategorien will ich bewusst vermeiden. Würde ich Leser und Leserin schreiben (oder LeserInnen, Leser:innen etc.), würden manche, vielleicht sogar alle, kurz an der Stelle hängen bleiben. Ich würde so unweigerlich darauf hinweisen, dass es Männer und Frauen gibt, und dass dies scheinbar eine Bedeutung beim Lesen dieser Zeilen hat.

Meine Überzeugung ist aber, dass uns mehr verbindet als uns trennt. Jeder durchlebt das, was ich gerne als die menschliche Erfahrung beschreibe. Wir werden geboren, wachsen auf und entwickeln uns körperlich und geistig zu einer Persönlichkeit, bekommen vielleicht selbst Kinder, und erleben, wie diese die gleichen Erfahrungen durchlaufen, bei denen wir sie begleiten dürfen. Wir bauen Beziehungen zu anderen Menschen auf und erleben deren Schicksal mit und schließlich werden wir älter und verfallen langsam an Körper und Geist und eines Tages tun wir unseren letzten Atemzug. Die Zeit, die uns gegeben ist, sollten wir nicht damit verbringen, bei jeder Gelegenheit darauf zu verweisen, was uns trennt.

Das sind aber nicht die einzigen Gründe, weswegen ich das Gendern ablehne. Um es kurz zu machen, liste ich alle hier kurz auf:

  1. Es ist grammatikalisch nicht korrekt
  2. Die ihm zugrunde liegende Annahme ist nicht bestätigt
  3. Es wirkt trennend, nicht verbindend
  4. Es macht Sprache und damit Kommunikation noch komplizierter
  5. Es ist nur einseitig
  6. Es beraubt der Sprache ihrer Möglichkeiten
  7. Seine Wurzeln sind zutiefst Männerverachtend
  8. Es ist nicht schön

Lassen Sie mich das etwas genauer ausführen.

Die Grammatik des Genderns

Auch die grammatikalische Korrektheit ringt hier und da vielleicht nur ein Lächeln ab. Es ist aber nicht klar, was MitarbeiterInnen sind. Sind damit „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ gemeint? Oder sind „Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen“ gemeint oder nur „Mitarbeiterinnen“? Welchen Artikel hat MitarbeiterInnen? Und wie ist der Genitiv oder Dativ zu bilden? „Des Mitarbeiters“ und „der Mitarbeiterin“ kann nicht gleichzeitig korrekt sein. Und wie wird das Wort mit „-Innen“ gebildet, wenn die weibliche Form mit einem Umlaut gebildet wird oder der letzte Buchstabe fehlt: AnwaltIn, KochIn, BiologeIn, JudeIn? Zusätzlich hört man bei Sprechen nur die weibliche Form.

Ein „Zu Fuß Gehender“ oder ein „Studierender“ ist eine Person, welche im diesem Moment eben jene Tätigkeit ausübt. Steht die Person aber an einer Ampel, sitz auf einer Parkbank oder isst mäßige Lasagne in der Mensa, ist die Bezeichnung grammatikalisch falsch. Jeder Deutschschüler würde dafür einen Fehler angestrichen bekommen.

Auch ist in der deutschen Sprache der Plural der Frauen sprachlich privilegiert. Die Menge der „Lehrer“ enthält alle männlichen und weiblichen Lehrer. Die Menge der „Lehrerinnen“ enthält jedoch nur noch alle weiblichen Lehrer. Um die Menge der männlichen Lehrer zu beschreiben, muss ich mich eben diesem Hilfswort „männlich“ bedienen. Der reine männliche Plural kann also nur mit Hilfe zustande kommen, der weibliche Plural steht für sich allein. Politisch korrekt könnte man sagen, der männliche Plural sei besonders herausgefordert.

Die grundlegende Annahme

Der ganzen Idee liegt die Annahme zugrunde, mit der maskulinen Form werden Frauen nicht mit angesprochen oder höchstens nebenbei mitgemeint. Es gibt einige Untersuchungen, die das zu belegen scheinen. Es ist aber schwierig, in den Untersuchungen den Fokus, der in der letzten Zeit auf diesem Thema liegt, gebührend zu berücksichtigen.

Was meine ich damit? Nun, es gab eine andere Untersuchung, die verdeutlicht, welchen Effekt ich meine oder ausschließen möchte. In dieser Untersuchung wurden scheinbar Frauen für ein Bewerbungsgespräch gesucht (mehr zur Opfermentalität). Diesen Frauen wurden entstellende Narben ins Gesicht geschminkt und gesagt, sie sollen in dem folgenden Bewerbungsgespräch darauf achten, ob sie aufgrund dieser Narben anders oder schlechter behandelt werden. Kurz bevor man die Frauen in das Gespräch schickte, legte man noch einmal letzte Hand an die geschminkten Narben. Ziel sollte sein, zu untersuchen, ob entstellende Narben eine herablassende Behandlung verursachen.

Die Frauen berichteten nach dem Gespräch in großer Zahl von schlechterer Behandlung, ja sogar von direkten Bemerkungen, die sich ihrer Ansicht nach auf die Narben bezogen. Das Experiment wollte aber einen ganz anderen Effekt aufzeigen, als die Frauen dachten. Die Narben wurden beim letzten Hand anlegen tatsächlich entfernt. Die Untersuchung sollte verdeutlichen, dass wir Diskriminierung finden, wenn wir nur danach suchen. Und genau der Effekt kann sich leicht in die Untersuchung einschleichen, die feststellen will, ob sich Frauen mit angesprochen fühlen. Ob ich mich angesprochen fühle oder nicht, hat viel mit mir, meinen Überzeugungen und meiner Erwartung oder Sensibilität zu tun.

Wäre die Annahme korrekt, dass eine neutrale Sprache zu einer besseren Behandlung der Frau im gesellschaftlichen Leben führt, dann würde man ja in Ländern, die eine solche neutrale Sprache haben, zumindest eine ähnliche, eigentlich sogar eine bessere Behandlung der Frau erwarten, als das im deutschen Sprachraum der Fall ist. Türkisch und Arabisch sind beides neutrale Sprachen. Ich lehne mich wahrscheinlich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Behauptung, dass Frauen im arabischen Sprachraum keine bessere Behandlung als im deutschen Sprachraum zuteil wird.

Die Vorstellung, das Genus (grammatikalisches Geschlecht) hätte irgendetwas mit dem Sexus (biologischem Geschlecht) zu tun, ist grundfalsch. Die Geisel ist genauso wenig immer eine Frau wie der Flüchtling immer ein Mann ist. Das Mädchen ist Neutrum, und das schon seit mindestens vier Jahrhunderten.

Bei vielen Formulierungen würde selbst heute noch niemand auf die Idee kommen, dass Frauen nicht mitgemeint sind. Etwa die Frage nach der Einwohnerzahl. Keiner würde nur die Männer zählen. Oder, wenn man vom Prager Judenviertel spricht, wird keiner annehmen, dass dort nur Männer lebten.

Es trennt und verbindet nicht

Mit „Alle Insassen des Bootes“ ist eine Gruppe gemeint, deren Mitglieder alle ein gemeinsames Merkmal haben. Ein Merkmal verbindet sprachlich die unterschiedlichen Menschen und macht sie zu einer Einheit. „Die Insassen und Insassinnen“ teilt die Gruppe in zwei. Scheinbar gibt es ein trennendes Merkmal, dass nicht vergessen werden darf. Das Geschlecht. Tatsächlich ist aber in Bezug auf das sich in einem Boot befinden das Geschlecht denkbar irrelevant und die Betonung der Trennung unnötig.

Die Einseitigkeit

Auch suchen wir vergebens nach dem Bestreben gerechterweise männliche Wörter zu finden, für alle Bezeichnungen von Menschen, die im Femininum stehen. „Die Person“ meint ja sicher nur Frauen, genauso wie „die Arbeitskraft“ immer nur weiblich ist. Wie wäre die männliche Form? „Der Personer“ oder „Der Arbeitskrafter“? Und wie wäre die neutrale Formulierung? „Die PersonInnen“ oder „Die ArbeitskraftInnen“?

Besonders Unterhalsam fand ich einen Moderator bei den Öffentlichrechtlichen, der in einer Sendung mehr als einmal (es kann also kein Versprecher gewesen sein) das Wort Krankenschwester genderte. Erstens ist die Korrekte Bezeichnung Krankenpflegerin und zweitens gibt es eine Krankenschesterin in der deutschen Sprache nicht.

Es macht die Sprache noch komplizierter

Deutsch ist als Sprache schwer zu erlernen. Speziell für Menschen aus einem Sprachraum, der andere Schriftzeichen nutzt und keinen Lateinischen oder Germanischen Ursprung hat. Also Asien und der Arabische Raum, um nur zwei zu nennen. Das wird nicht einfacher durch Gendern. Die deutschen Artikel sind auch so schon ein Gräuel für jeden, der Deutsch lernen möchte. Auch bei sinnerfassenden Lesen haben immer mehr Grundschüler Verständnisschwierigkeiten. Überlegen Sie selbst, ob der folgende Satz das Erfassen der Aufgabenstellung begünstigt:

“Eine/r ist Zuhörer/in der/die andere ist Vorleser/in, der/die eine/r liest den Abschnitt vor der/die Zuhörer/in fast das gehörte zusammen.”

Eine einfache Aufgabenstellung für einen Grundschüler, die einem Erwachsenen Probleme beim Verständnis bereitet.

Es macht die Sprache ärmer

Es gibt Aussagen, die ich mit Gendern nicht mehr treffen kann. „Frauen sind die besseren Autofahrer“, oder „Heike und Klaus waren die besten Tänzer des Abends“ sind gegendert nicht mehr von der gleichen Bedeutung oder gleich gänzlich unverständlich. Generell wird durch die ständige Auftrennung der Geschlechter der Fokus einer Aussage verrückt (im wahrsten Sinne des Wortes). Ohne eine gemeinsame Bezeichnung, der Funktion nach, ist der Fokus immer von der eigentlichen Aussage abgewandt

Die männerverachtenden Wurzeln

Der Ursprung der Idee des Genderns stammt aus den 70er Jahren und nannte sich damals „Feministische Sprachkritik“ eine ihrer Urheberinnen und Vertreterinnen, Luise Pusch, schrieb dazu: „Der Mann brauchte dringend eine Abmagerungskur zur Therapie seines immer gefährlicher werdenden Größenwahns“, sie spricht über den „täglichen Genozid durch die Sprache“. Sie begeistert sich für das „schöne, lange Femininum“ und will es gegen das kurze, quasi abgehackte Maskulinum ausspielen, das sie als Schwundform auch Schrumpf-, Reduzierte-, oder Kümmerform bezeichnete. Es scheint ihr nicht nur um eine Gleichbehandlung zu gehen.

Gendern ist nicht schön

Das Argument der Schönheit mag manchen nicht überzeugen. Aber Sprache ist schön. Sie kann uns erheben. Zum Abschluss zitiere ich hier Herrn Dr. Kubelik, der das Ganze besser zusammenfasst als ich es kann (hier in einem Vortrag des Verreins der Deutschen Sprache):

Sprache trägt unser Wissen und ermöglicht uns klare Gedanken. Sie lässt uns urteilen und verhilft uns, Gefühle auszudrücken. Indem wir unseren Wünschen und Sehnsüchten, unseren Freuden und Schmerzen, unseren Ängsten und Erinnerungen Namen geben, verleihen wir ihnen Lebendigkeit und Dauer. Indem wir sagen, was uns glücklich macht und was misslungen ist, was uns ängstigt und was wir hoffen, erschaffen wir eine eigene, greifbare Gegenwart. Ein altertümlicher Ausdruck macht uns längst vergessene Kindheitstage wieder lebendig; ein guter Witz löst uns aus einer inneren Anspannung; eine schöne Formulierung kann uns begeistern und ergreifen, sie kann uns zu Tränen rühren wie Musik oder Malerei. In Augenblick der Freude, der Trauer, des Schmerzes drängen unsere Emotionen nach außen, sie suchen nach Wörtern und werden Sprache. Selbst dann, wenn niemand da ist, der es hören kann. Nur in und mit ihr können wir fordern, drohen und bitten, beten, urteilen und verurteilen, beleidigen, verletzen und trösten, belehren, argumentieren, überzeugen und lügen. So begleitet uns Sprache in fast jedem Augenblick des Lebens, sie gibt uns Orientierung und stiftet unsere Identität.

Sprache und Kommunikation ist schon kompliziert genug, auch, ohne dass wir sie politisieren. Wir wollen uns hier auf das konzentrieren, was uns verbindet, und nicht was uns trennt.

3 Dinge, die Sie schon immer über den Gender Pay Gap wissen wollten

Spricht man heute das Thema Feminismus an und stellt die provokante Frage, auf welchem Gebiet Frauen im Jahr 2023 noch um Gleichberechtigung kämpfen, bekommt man als Antwort so gut wie immer: bei der Bezahlung.

Der Ausdruck, der sich durchgesetzt hat, für dieses Phänomen ist Gender Pay Gap. Damit ist gemeint, wie groß der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist, wenn es um das Einkommen geht. Und da fangen die Missverständnisse auch schon an.

Gehen wir also die wichtigsten Punkte durch:

  • Was ist der Gender Pay Gap? 
  • Was ist der bereinigte Gender Pay Gap?
  • Können wir den Gender Pay Gap schließen?

Was ist der Gender Pay Gap?

Damit ist gemeint, wie groß der Unterschied der Einkommen der Männer und der Einkommen der Frauen ist. Korrekt muss man vom unbereinigten Gender Pay Gap sprechen. Betrachten wir genauer, wie dieser aufgestellt wird. Das Statistische Bundesamt nutzt dazu die Vorgaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union, um internationale Vergleichbarkeit herzustellen (unter Punkt 2.1). Es wird die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten männlicher und weiblicher Beschäftigter gebildet.

Das Ergebnis wird als Prozentsatz bezogen auf den durchschnittlichen Verdienst der männlichen Beschäftigten dargestellt. Wäre der durchschnittliche Stundenverdienst männlicher Beschäftigter bei 20 € und der von weiblichen Beschäftigter bei 18 €, dann läge der Gender Pay Gap bei 10 % (20-18=2 und 2 sind 10 % von 20). Der Gender Pay Gap 2021 lag in der Berechnung des Statistischen Bundesamtes bei 18 %. Das bedeutet, dass das Durchschnittseinkommen der Frauen 18 % unter dem Durchschnittseinkommen der Männer lag. Wo ein Mann also im Schnitt 100 € verdient hat, hat eine Frau im Schnitt 82 € verdient, oder? Ja und nein.

Gender-Pay-Gap beim Statistischen Bundesamt

Was ist der bereinigte Gender Pay Gap?

Wir haben gerade gelernt, dass Frauen 18 % weniger verdienen als Männer. Daraus ergeben sich aber viele Fragen, die in dem Zusammenhang oft unzureichend beleuchtet werden. Warum stellen Unternehmen dann nicht verstärkt Frauen ein, wenn sie diesen doch 18 % weniger zahlen können? In Deutschland ist es verboten nach Geschlecht bei der Bezahlung zu diskriminieren. Warum sehen wir keine Klagewelle? Heißt 18 % weniger, bei gleicher Arbeit, gleicher Erfahrung und gleicher Opferbereitschaft? Was sind also die Gründe für den Gender Pay Gap?

In dem oben beschriebenen unbereinigten Gender Pay Gap werden keine Faktoren wie Branche, Qualifikation, Tätigkeit, durchschnittliche Wochenstunden, Berufserfahrung oder ähnliches berücksichtigt. Sehen wir uns kurz die Branche ein wenig an. Was meinen Sie, ist der Beruf in Deutschland mit dem höchsten Anteil an Männern respektive Frauen?

Für Männer ist es der Maurer mit 99,9 % und für Frauen ist es die Kosmetikerin mit einem Anteil von 96,6 %. Was verdient aber ein Maurer im Schnitt und was verdient eine Kosmetikerin im Schnitt? Beim Maurer liegen wir bei einem Einstiegsgehalt von 2.200 € bis 2.700 €, also im Mittel bei 2.450 €. Bei der Kosmetikerin liegt das Einstiegsgehalt zwischen 1.500 € und 1.900 €, also im Mittel bei 1.700 €. Der Maurer liegt fast um das Anderthalbfache über dem der Kosmetikerin. Oder anders, die Kosmetikerin verdient ca. 30 % weniger als der Maurer. Hier ist also nicht die Diskriminierung, sondern die Präferenz entscheidend.

Generell tendieren Frauen dazu, Berufe zu wählen, die direkt mit Menschen zu tun haben. Kosmetikerin, Friseurin, Ärztin, Pflegerin, Erzieherin und so weiter. Männer tendieren dazu, Berufe zu wählen, die sich mit Dingen beschäftigen. Mechaniker, Maschinist, Ingenieur, Programmierer und Ähnliches. Nun ist es aber Berufen, die direkt am Kunden stattfinden, zu eigen, dass man sie nur schlecht skalieren kann.

Ein Friseur kann in 200 Stunden sagen wir mal 400 Leuten die Haare schneiden. Er kann sein Produkt „Haarschnitt“ also in 200 Stunden Arbeit 400-mal verkaufen. Eine Steigerung ist nicht möglich. Ein Programmierer kann in 200 Stunden ein Programm schreiben, dass er dann 100.000-mal verkaufen kann. Oder 1 Mio. mal oder mehr. Es ist also leicht skalierbar.

Daher sind Berufe, die skalierbar sind, oft viel besser bezahlt, als Berufe, die nicht skalierbar sind. Sie merken jetzt zu Recht an, dass der Maurer auch nicht skalierbar ist. Allerdings ist Maurer eine körperlich harte Arbeit, die im Freien und unter höherem Risiko als Kosmetikerin stattfindet. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle.

Männer arbeiten weniger häufig in Teilzeit, Männer machen bei Vollzeit mehr Überstunden als Frauen, Männer sind eher bereit, Arbeiten im Freien durchzuführen, Männer sind eher bereit dazu körperlich harte Arbeiten durchzuführen, Männer sind eher bereit, den Wohnort für einen Arbeitsplatz zu wechseln, Männer sind eher bereit, riskante Arbeiten anzunehmen, Frauen fallen durch Schwangerschaften für Jahre aus und haben dadurch bei gleichem Alter oft geringere Berufserfahrungen, Männer priorisieren monetäre Beziehungen höher. Darüber hinaus ist der Maurer im Vergleich zum Kosmetiker, sagen wir mal, systemrelevanter. Die Gesellschaft würde nicht morgen zusammenbrechen, wenn es keine Kosmetiker mehr gibt. Bei Maurern sieht das schon anders aus.

Erlauben Sie mir, das Ganze um eine Anekdote aus meiner beruflichen Erfahrung zu ergänzen. Letztens saß ich mit dem Geschäftsführer eines mittleren kommunalen Energieversorgers zusammen. Da geht es sicher nicht um ein Millionengehalt, das der Mann bekommt. Es wird sicher im angenehmen sechsstelligen Bereich liegen und man wird gut oder sehr gut davon leben können. Er hatte den Job erst vor kurzem angenommen. Seine Frau und seine beiden Kinder wohnen aber weiterhin in seiner vorherigen Heimat, die fast 400 km entfernt liegt. Nicht ohne gut beherrschte Wehmut merkte er an, dass er die meisten Abende alleine verbringt und seine Kinder nur selten sieht. Eben solche Lebensentscheidungen werden häufiger von Männern getroffen, da Frauen das Familienleben höher priorisieren.

Wie sieht es aber aus, wenn Frauen und Männer bei gleicher Erfahrung in derselben Branche gleiche Arbeitszeiten abliefern? Dann tendiert der Gender Pay Gap gegen null. Der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap in Deutschland vom Statistischen Bundesamt wird mit 6 % angegeben. Dabei werden aber nur Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien berücksichtigt. In anderen Untersuchungen (z.B. vom Institut der Deutschen Wirtschaft) führen weitere Korrekturen nach Erfahrung, Arbeitszeit, Wechselbereitschaft usw. zu 1 %- 5 % Rest Gap. Eine Untersuchung von Google über alle Mitarbeiter hat ergeben, dass Frauen im Schnitt mehr verdienen. Und hierbei sprechen wir von mehr verdienen für die gleiche Tätigkeit.

Können wir den Gender Pay Gap schließen?

Wir haben bisher gelernt, dass am Gender Pay Gap nicht direkte Diskriminierung schuld ist, sondern das Präferenzverhalten von Frau und Mann. Kann es aber sein, dass es indirekte Diskriminierung gibt? Also, dass unsere Gesellschaft oder Erziehung Männer eher eine Präferenz in Richtung von Dingen vermittelt, und Frauen eher in Richtung Personen gedrängt werden? Und können wir dann nicht, durch geeignete politische oder gesellschaftliche Maßnahmen dagegen arbeiten?

Nun, wie wäre es, wenn wir die unterschiedlichen Nationen und das jeweilige Präferenzverhalten der Einwohner betrachten? Wir haben Länder, die bereits sehr viele politische und gesellschaftliche Maßnahmen ergreifen, um Frauen in traditionelle Männerberufe zu bekommen und umgekehrt. Die Vorreiter weltweit sind die skandinavischen Länder wie Schweden, Dänemark oder Norwegen. Und wir haben natürlich Länder, die noch stark in traditionellen Rollenbildern denken und die Frau eher im Haushalt als im Büro am Computer sehen (oder als Maurer…). Was können wir also beobachten?

Seit Jahrzehnten werden diese Betrachtungen gemacht und was wir sehen können, ist als sogenanntes Gender-Paradoxon bekannt geworden. Eigentlich würden wir erwarten, dass die skandinavischen Länder einen höheren Anteil von Frauen haben, die sich für z.B. Computerwissenschaften interessieren, als, sagen wir mal, Algerien. Aber das Umgekehrte ist der Fall. In keinem Land weltweit ist das Interesse an MINT Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) so gering wie in den skandinavischen Ländern. Und in keinem Land so hoch wie in Algerien.

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Wenn wir also unterstellen, dass die politischen und gesellschaftlichen Maßnahmen tatsächlich den gesellschaftlichen Druck vermindern, Frauen in traditionelle Rollen zu drücken, dann scheinen die biologischen Einflüsse stärker in den Vordergrund zu treten.

In einer aktuellen Untersuchung hat man an der Stanforduniversity die Einkünfte von Uber-Fahreren verglichen. Dabei wurde festgestellt, dass Frauen über 7 % geringere Einkünfte haben als Männer. Eine Diskriminierung ist durch Uber direkt nicht möglich, da sich jeder einfach als Subunternehmer anmelden kann. In der Untersuchung wurden drei Gründe gefunden, die diesen Unterschied erklären. Männer tendieren dazu, länger als Fahrer zu arbeiten und profitieren dadurch von längerer Berufserfahrung (je länger ich in einem Beruf arbeite, desto eher tendiere ich dazu, mehr zu verdienen), Männer waren eher dazu bereit an riskanteren Orten oder zu unangenehmen Zeiten zu fahren, und über 50 % des Unterschiedes erklärte sich durch die Bereitschaft der Männer schneller zu fahren.

Jetzt können wir uns fragen, können wir den Gender Pay Gap beseitigen? Nun, sicher fallen uns harte gesetzliche Maßnahmen ein, die das erreichen könnten. Die bessere Frage ist aber, wollen wir den Gender Pay Gap beseitigen? 

Nur wenn wir annehmen, dass Männer und Frauen über die gleichen Voraussetzungen und die gleichen Präferenzen verfügen, wäre es sinnvoll eine komplett gleiche Bezahlung zu erwarten. Das Geschlecht sollte bei der Bezahlung keine Rolle spielen. Nach allem, was wir gelernt haben, tut es das auch nicht. Zumindest fast. Wenn wir die restliche 1 % – 5 % Gender Pay Gap als Diskriminierung akzeptieren, dann beutet das im Umkehrschluss, dass für 95 % –  99 % meines Einkommens, meine Entscheidungen und meine Persönlichkeit verantwortlich sind.

Wollen wir tatsächlich einen Einfluss ausüben, müssen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Denn nur so werden Frauen und Männer andere Lebensentscheidungen treffen.

Sollte also demnächst der Gender Pay Gap zur Sprache kommen, sollten Sie eingangs fragen, ob man vom unbereinigten Gender Pay Gap zwischen z.B. einer Erzieherin in Teilzeit und einem Programmierer mit Überstunden spricht, der bei durchschnittlich ca. 20 % liegt, oder ob der bereinigte Gender Pay Gap gemeint ist, also bei gleicher Branche, gleichem Beruf, gleicher Berufserfahrung, gleicher Tätigkeit, gleicher Arbeitszeit, gleicher Bereitschaft zu Überstunden, gleicher Bereitschaft den Wohnort für den Arbeitgeber zu wechseln, gleicher Bereitschaft im Freien zu Arbeiten, gleicher Bereitschaft riskante Tätigkeiten auszuüben, gleicher Bereitschaft offensiv in Gehaltsverhandlungen zu gehen, gleiche Bereitschaft monetäre Beziehungen höher zu priorisieren, der bei Berücksichtigung all dieser Faktoren wahrscheinlich kleiner als 1 % ist.

Frauen, warum sind keine 50 % von ihnen Führungskräfte?

Die Bevölkerung besteht zur Hälfte, oder knapp über der Hälfte aus Frauen. Der Rest sind Männer. Jetzt gibt es die berechtigte Annahme, wenn sich alle frei entscheiden können, dann sollten doch auch die Führungskräfte zu 50 % aus Frauen bestehen. Wir beobachten, dass auch nach Jahrzehnten der Öffnung des Arbeitsmarktes für Frauen, immer noch nicht die Quote erfüllt ist. Der Schuldige ist schnell gefunden: Diskriminierung.

Der Debatte liegt das Thema nature vs. nurture zugrunde, zu Deutsch Natur gegen Erziehung. Es geht also um die Frage, was ist angeeignet und somit durch politische, kulturelle oder gesellschaftliche Maßnahmen beeinflussbar und was liegt in den Händen von Mutter Natur und ist damit unserem Einfluss entzogen. Ist es aber wirklich die Diskriminierung, die hier die alleinige Erklärungskraft hat, oder gibt es noch andere Gründe? Und welche Erklärungskraft haben diese anderen Gründe.

Bedürfnis von Frauen in Führungsrollen zu gehen

Gehen wir zunächst näher auf die Führungskraft ein. Nun, bevor wir uns fragen, welche Ansprüche eine Gesellschaft oder ein Gesellschafter, also Anteilseigner einer Firma, an eine Führungskraft hat, gibt es eine ganz klare und einfache Eigenschaft, die eine Führungskraft haben muss. Das persönliche Interesse. Wenn wir dem Individuum zugestehen, unabhängig von seinem Vermögen das Eine zu tun, sich dennoch im Leben für das Andere zu entscheiden, ist der Wille Führungskraft zu werden ein unbedingtes Kriterium. Nicht jeder, der ein guter Steuerberater geworden wäre, wird auch Steuerberater, manch einer will eben lieber Profifußballer oder Postbeamter werden.

Wie sieht es aber aus mit dem Willen in Führungsverantwortung zu gehen bei Männern und Frauen? Dazu werden seit Jahren unterschiedliche Umfragen durchgeführt. Alle deuten auf eine ungefähre Aufteilung von 30/70 bis 40/60 hin (z.B. hier oder hier). Simple gesprochen, wollen also nur ein Drittel der Frauen in Führungspositionen. Jetzt könnte man argumentieren, dass es gesellschaftlich immer noch starke Einflüsse gibt, die Frau an den Herd zu bringen und nicht in Führungspositionen. Mir ist aber keine einzige solche öffentliche Initiative bekannt.

Gesellschaftlicher Einfluss

Über Initiativen Frauen in Berufe und in Führungsverantwortung zu bringen bin ich in meinem Leben schon sehr häufig gestolpert. Ich möchte hier kein Argument anführen, dass unsere Gesellschaft Frauen in diese Rolle drängen möchte (auch wenn dieser Nachweis sicher nicht schwer sein dürfte). Es geht mir nur darum festzustellen, dass ich den gesellschaftlichen Einfluss in die andere Richtung als nicht nennenswert und ohne großen Einfluss erachte.

Halten wir also fest, selbst, wenn es keinen Unterschied in der Befähigung von Frauen Führungspositionen zu besetzen gibt, wäre ihr Interesse an einer solchen Laufbahn schon ein Grund, warum wir keine 50/50 Verteilung vorfinden würden. Jetzt haben bei dem Satz bestimmt ganz viele gestutzt: Hat er gerade gesagt, keine Frau kann Führungskraft werden?

Ich kann Sie, werter Leser, aber beruhigen. Absolute Aussagen sind immer falsch. Weder “keine” noch “jede” Frau kann Führungskraft werden. Bei den Männern ist es ähnlich, weder “keiner” noch “jeder” Mann kann Führungskraft.

Eigenschaften einer Führungskraft

Nähern wir uns dem Thema doch von der Seite des Investors, oder Unternehmers. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein beträchtliches Vermögen, dass Sie gerne für sich arbeiten lassen wollen. Sie beschließen, damit ein Unternehmen zu gründen. Kaufen also die notwendigen Gebäude und Maschinen und stellen Mitarbeiter ein. Bedenken Sie, Sie wollen nicht selbst arbeiten, immerhin haben Sie schon das ganze Geld mitgebracht. Das sollte genug Anstrengung sein. Daher brauchen sie einen Geschäftsführer und auch weitere Führungskräfte. Aber welche Eigenschaften sollten diese Führungskräfte mitbringen, damit Sie völlig sorglos ihr ganzes Geld für sich arbeiten lassen können, und auch noch genug Gewinn übrig ist, um die Führungskräfte und die Belegschaft angemessen genug zu bezahlen?

Eine der Anforderungen, auf die wir uns einigen können, ist sicher, der Geschäftsführer sollte klug sein. Die Klugheit können wir einigermaßen gut messen über den IQ. 70 % der Menschen liegen zwischen einem IQ von 85 und 115. Weitere 14 % zwischen 70 und 85 und zwischen 115 und 130. Damit wären 70 % + 28 % = 98 % abgedeckt. Die restlichen 2 % liegen je zur Hälfte unter 70 und über 130. Nehmen wir an, sie wollen einen wirklich klugen Kopf, also über 130. Aber wie ist mit Männern und Frauen? Sind beide gleich intelligent. Ja und Nein. Der Bereich ist der gleiche, nur die Verteilung eine leicht andere. Frauen liegen mehr in der Mitte, Männer liegen mehr in den Extremen. Der Effekt ist nicht riesig, aber ausreichend, als dass wir im Bereich unter 70 und im Bereich über 130 ungefähr zu zwei Dritteln Männer finden.

Also sind wir nach Präferenzverhalten und Intelligenz bereits bei einem Drittel von einem Drittel (wenn sich die beiden Eigenschaften nicht überschneide, was sie in der Realität aber dürften) der Frauen, die für Ihre Geschäftsführung infrage kommen. Neben Intelligenz gibt es aber noch andere Werte. Wenn wir die gut dokumentierten Big Five zurate ziehen, also:

  • Aufgeschlossenheit neue Erfahrungen zu machen,
  • Perfektionismus oder Gewissenhaftigkeit,
  • Extraversion bzw. Introversion,
  • Verträglichkeit ohne andersherum gesagt Konfliktfreudigkeit,
  • Neurotizismus, meint die Tendenz negative Emotionen zu empfinden,

dann kommen wir wieder etwas weiter.

Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass Sie eine Persönlichkeit bevorzugen, die hohe Werte in Perfektionismus, Konfliktfreude und einen niedrigen Wert in Neurotizismus aufweisen. Führungskräfte stellen ungefähr 5 % der Arbeitskräfte in Deutschland, und damit sollte auch klar sein, dass sich in diesem Bereich eher außergewöhnliche Persönlichkeiten finden. Sie wollen also einen Geschäftsführer, der kluge Entscheidungen trifft, bei der Umsetzung sehr gewissenhaft vorgeht, die Entscheidungen und ihre Interessen gegen jeden Widerstand vertritt und, der sich bei all dem Stress auch noch ziemlich wohlfühlt. Wie sieht es nun mit der Verteilung dieser Eigenschaften bei Männern und Frauen im Schnitt aus? Der Perfektionismus ist ziemlich gleich verteilt. Die Unterschiede in diesem Bereich sind also zu vernachlässigen.

Die Unterschiede in Konfliktfreude und Neurotizismus sind deutlicher. Im Mittel liegen wir da bei 60/40 in der Konfliktfreude und ein bisschen geringer im Neurotizismus. Das sind aber die Mittelwerte. Sie wollen doch aber keine mittelmäßige Führungskraft, oder? Sie wollen jemanden mit sehr hoher Konfliktfreude. Lieber einmal zu viel kritisch nachgefragt oder den eigenen Standpunkt vertreten als einmal zu wenig. Und auch beim Neurotizismus brauchen sie eine Person, die den Stress und die Belastung erträgt, ohne dabei ein Übermaß an negativen Emotionen zu empfinden.

Ähnlich wie bei der Intelligenzverteilung sind die geringen Unterschiede im Mittel, große Unterschiede im Extremen. Die Persönlichkeiten mit sehr hohen Ausprägungen von Konfliktfreude und mit sehr geringen Ausprägungen von Neurotizismus sind, speziell in dieser Kombination zu einem großen Teil Männer. Sind wir freundliche und sagen wir, uns reicht der Bereich aus, bei dem wir einen Anteil von einem Drittel an Frauen haben. Wo stehen wir dann?

Wie ist denn nun die Verteilung in Deutschland

Nun, wenn wir also Präferenz, Intelligenz, Konfliktfreude und Stressresistenz (quasi der Kehrwert vom Neurotizismus) nehmen sind wir bei einem Drittel von einem Drittel von einem Drittel von einem Drittel. Wir haben aber nicht berücksichtigt, wie die Größen, die wir betrachtet haben, zusammenhängen, also ob man z.B. bei Personen mit einem IQ von 130 oder mehr, eine häufigere Ausprägung von hohem Perfektionismus hat. Auch haben wir die Größen nicht gewichtet. Ist es wichtiger, eine hohe Konfliktfreude zu haben, oder einen genialen Intellekt?

Aber wir wollten ja eine Führungskraft für ihr Unternehmen finden. Ich denke aber, dass klar sein sollte, dass die relevanten Eigenschaften in den höheren oder extremen Bereichen, die für Führungskräfte entscheidend sind, nicht 50/50 auf Frauen und Männer verteilt sind, sondern eher immer zu 33/66, also ein Drittel Frauen zu zwei Drittel Männer. Wenn sich die Größen eine gewisse Balance halten, dann könnten wir annehmen, dass ungefähr ein Drittel der Führungskräfte Frauen sind.

Frauen in Fhrungspositionen

Wie ist es denn in Deutschland? Nun, der aktuelle Anteil der Frauen bei den Führungskräften ist ungefähr… ein Drittel.

Geschlecht – Gesellschaftlich konstruiert oder bestimmender Faktor?

Vor Jahren habe ich einmal eine sehr gute Dokumentation gesehen. Nicht direkt über Geschlecht. Der Moderator der Dokumentation, Harald Eia, ist „Unterhaltungskünstler“. Im Ursprung war die Doku auf Norwegisch, da ich der Sprache nicht mächtig bin, leider, musste ich die englische Synchronisation wählen. Das Thema und der Titel waren „nature vs. nurture“. Der Originaltitel ist Hjernevask, was soviel wie Gehirnwäsche bedeutet. Man findet die Doku noch, wenn man unter einschlägigen Video-Portalen sucht, sie ist von 2010 (hier auf dem Vertreter von Google als Liste). Es ist eine der besten Dokumentationen, die ich je gesehen habe.

Der erste Teil, das Gleichstellungsparadoxon, und der fünfte Teil, es gibt insgesamt sieben, mit dem Titel homo/hetero, passen aktuell wieder sehr gut in die Debatte des Zeitgeists.

Diese Debatte tobt rund um das Thema Trans, Gender, LGBTQ+ und so weiter. Sie findet, wie so viele kulturelle Debatten heutzutage, zuerst in den USA statt. In der englischen Sprache hat man es dort etwas leichter. Es gibt die Worte “sex” und “gender”. “Sex” meint das biologische Geschlecht. “Gender” meinte, bis vor wenigen Jahren, das grammatikalische Geschlecht, wurde aber dazu umfunktioniert, die Geschlechtsidentität zu meinen (Übrigens, für den interessierten Leser versuche ich hier, mich dem Begriff Gender einmal zu nähern).

Im Deutschen müssen wir vom biologischen Geschlecht auf der einen Seite und der Geschlechtsidentität auf der anderen Seite sprechen. Zur Vereinfachung spreche ich vom Geschlecht und meine damit das biologische Geschlecht und von der Identität und meine damit die Geschlechtsidentität.

Das biologische Geschlecht

Nehmen wir zuerst das Geschlecht und wie dieses definiert wird. Es geht nicht um äußere Geschlechtsmerkmale oder Chromosomen, obwohl beides sehr, sehr gute Hinweise auf das tatsächliche Geschlecht sind. Es geht um die sogenannten Gameten, auch Geschlechtszellen genannt, und die Auslegung des Körpers diese zu produzieren.

Ist ein Organismus darauf ausgelegt, Eizellen zu produzieren, ist er weiblich und ist er darauf ausgelegt, Samenzellen zu produzieren, ist er männlich. Ein anderes Geschlecht (bitte daran denken, ich spreche vom biologischen) gibt es nicht. Es gibt beim Menschen Variationen, die eine Kategorisierung in männlich oder weiblich nicht möglich machen. Dabei geht es aber um eine sehr kleine Minderheit von ca. 0,018 %. Zum Vergleich, Menschen mit 6 Fingern sind häufiger (ungefähr 0,2 % oder zehnmal häufiger).

Was ist nun Gender?

Die Identität, so die Position in der Debatte, kann von dem Geschlecht unterschiedlich sein. Ein Mensch mit männlichem Geschlecht kann also eine weibliche Identität haben und ein weiblicher Mensch kann eine männliche Identität haben. Es wird auch die Behauptung vertreten, dass das Geschlecht (etwas unklar, welches jetzt gemeint ist, das biologische oder die Identität) ein soziales Konstrukt ist. Genauer gesagt ist damit gemeint, dass nur die gesellschaftlichen Einflüsse die Identität (wir gehen einfach mal davon aus, dass diese gemeint ist, alles andere wäre, nun, wenig einfallsreich) bestimmen und es keine biologischen Einfluss gibt. Auch die Position, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, wird von extremeren Kreisen vertreten.

Versuchen wir herauszufinden, ob es eine biologische Komponente in der Identität gibt und ob diese eine große oder eher geringe Rolle spielt. Eine ähnliche Debatte wurde auf höherer Abstraktionsebene schon vor Jahren geführt. Es ging dabei um die Frage, ob der Mensch als blankes Blatt Papier auf die Welt kommt, das dann von der Gesellschaft geformt oder, bildlich, beschrieben wird.

Eine zentrale Frage in dieser Debatte war, ob kriminelle Menschen als solche geboren werden (denn dann könnten wir als Gesellschaft nichts dagegen tun) oder von der Gesellschaft erst kriminell gemacht werden (dann könnte die Gesellschaft offensichtlich etwas dagegen tun). Der soziale Konstruktivismus nutze diese Vorstellung, um für radikalen gesellschaftlichen Wandel zu argumentieren. Stephen Pinker hat das Thema in seinem empfehlenswerten Buch “The blank Slate” abgehandelt.

Bleiben wir aber bei der Frage, ob es einen biologischen Einfluss auf die Identität gibt und welche Rolle dieser spielt. Optisch gibt es einen Einfluss. Ein Versuch, der diese Auswirkung messbar gemacht hat, war die Gesichtserkennung. Dabei werden Haare, Bart, Schminke und Schmuck entfernt bzw. ausgeblendet, sodass nur die Gesichtszüge mit geschlossenen Augen zu sehen sind. Dann sollen die Versuchspersonen das Geschlecht (wieder das biologische) kategorisieren. Die Erfolgsrate bei verschiedenen Versuchen lag bei über 95 % (z.B. hier). Wir sind also recht gut darin, das Geschlecht in den Gesichtszügen zu erkennen.

Aber wie sieht es mit der Identität aus? Wenn wir diese sichtbar machen, können wir sie dann auch einem Geschlecht zuordnen? Und wie sieht es dan mit dem Einfluss unterschiedlicher Gesellschaften aus?

Stellen wir eine Annahme auf:

Wenn die Identität nur ein gesellschaftliches Konstrukt, ohne biologische Komponenten oder Abhängigkeit vom Geschlecht, wäre, dann würden wir in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Ergebnisse beobachten. In einer Gesellschaft, die noch stark traditionelle Männer- und Frauenrollen in ihrer Kultur, ihren Regeln und ihren Gesetzen durchsetzen möchte, sollte die korrekte Zuordnung von Identität zu Geschlecht sehr einfach oder erfolgreich sein. Anders gesagt, in einer traditionellen Gesellschaft sollte die Erfolgsquote bei der Zuordnung einer betrachteten Identität auf ein Geschlecht hoch sein. Identitäten, die männlich scheinen, gehören zu Männern und Identitäten, die weiblich scheinen, eher zu Frauen.

In einer egalitären Gesellschaft, also einer Gesellschaft, die versucht, klassische Rollen durch Kultur, Regeln und Gesetze aufzubrechen, sollte eine Zuordnung von Identität zu Geschlecht deutlich schwieriger sein.

Traditionelle Gesellschaft=Hohe Erfolgsquote bei der Zuordnung von weiblicher Identität auf weibliches Geschlecht und umgekehrt

Egalitäre Gesellschaft=Geringe Erfolgsquote bei der Zuordnung von weiblicher Identität auf weibliches Geschlecht und umgekehrt

Auf dieser Basis kann man die Annahme überprüfen. Nun brauchen wir nur noch ein Werkzeug, um die Identität sichtbar zu machen, und dann müssen wir das Ganze nur noch in vielen unterschiedlichen Gesellschaften durchführen. Zum Glück ist das schon geschehen.

Mit der Identität von Menschen beschäftigt sich unter anderem die Psychologie. Dazu nutzt man unterschiedliche Modelle, um die Identität oder die Persönlichkeit von Menschen zu beschreiben. Das prominenteste Modell ist das sogenannte Big Five Modell. Dabei werden fünf Kategorien genutzt, um die Persönlichkeit zu beschreiben:

  • Aufgeschlossenheit neue Erfahrungen zu machen
  • Perfektionismus oder Gewissenhaftigkeit
  • Extraversion bzw. Gegenpol Introversion
  • Verträglichkeit oder andersherum gesagt Konfliktfreude
  • Neurotizismus meint die Tendenz negative Emotionen zu empfinden

Die einzelnen Größen können dann noch weiter differenziert werden in je zwei oder mehr Unterkategorien. Aber bleiben wir bei diesem Modell mit fünf Größen. Seit Jahrzehnten werden weltweit große Studien durchgeführt, die alle das Big Five Modell nutzen. Betrachtet man jetzt den Unterschied der Mittelwerte, die Männer und Frauen in den einzelnen Kategorien erzielen, dann sind diese eher klein. Das ist ähnlich zu den Gesichtszügen. Würde man die durchschnittliche z.B. Nasenlänge oder Nasenbreite von Männern und Frauen vergleichen, dann würde man nur minimale Unterschiede in den einzelnen Kategorien (wie Nasenlänge, Nasenbreite, Augenabstand, etc.) entdecken, die ein Gesicht ausmachen.

Betrachtet man aber das ganze Gesicht, kann man das Geschlecht erfolgreich kategorisieren (wie oben geschrieben, mit über 95 % Wahrscheinlichkeit). Das Gleiche kann man nun mit einer geeigneten statistischen Größe auch mit der Persönlichkeit machen, dem sogenannten Mahalanobis-Abstand oder D. Diese Größe beschreibt im mehrdimensionalen Raum den Abstand von unterschiedlichen Punkten zur Standardabweichung.

So, jetzt habe ich alle Leser verloren.

Wichtig ist an der Stelle nur zu verstehen, dass es mithilfe von D möglich ist, statistische Aussagen zu multivariaten Verfahren zu treffen. So auch zum Big Five Modell. Wir können uns also ansehen, wie erfolgreich wir sind, wenn wir, sozusagen, die Identität einer Person aus einer Kultur „betrachten“, und daraus auf das Geschlecht schließen.

Mehrere große Untersuchungen dazu konnten unabhängig voneinander im Schnitt ein Erfolgt von 85 % belegen (hier, hier und hier). Von der Identität einer Person auf ihr Geschlecht zu schließen ist also fast so einfach, wie vom Gesicht auf das Geschlecht zu schließen.

Wie sieht es aber mit den unterschiedlichen Gesellschaften aus? Wenn unsere Annahme oben stimmt, dann müssten besagte Studien ja eine höhere Chance der korrekten Kategorisierung in traditionellen Gesellschaften gezeigt haben.

Die egalitären Nationen (Schweden, Norwegen, Dänemark, USA, Kanada, Großbritannien usw.), also die, die versuchen, traditionelle Frauen- und Männerrollen aufzubrechen, finden sich alle in dem Bereich, mit sehr hohen Erfolgsquoten. Im Bereich mit den geringsten Erfolgschancen finden sich z.B. die meisten südostasiatischen Nationen, die noch ein sehr traditionelles Rollenbild leben. Pakistan hatte die geringste Erfolgschance mit immer noch 77 %.

Die Ergebnisse stimmen auch mit aktuellen Untersuchungen überein. In unterschiedlichen Test wurden KIs trainiert Abbilder von Gehirnen (wieder das ganze Gehirn, analog zum ganzen Gesicht oder der ganzen Persönlichkeit) in die beiden Geschlechter zu kategorisieren. Dabei konnte eine Erfolgsquote von über 95 % erzielt werden. Lustiger Ausflug: Eine KI hat anhand von Gehirnscans auch sehr erfolgreich ermittelt, ob die Besitzer der Gehirne Demokraten oder Republikaner wählen (hier).

Was macht das nun aber mit unserer Annahme?

Wir hatten angenommen, dass traditionelle Gesellschaften eine korrekte Kategorisierung eher einfach machen und egalitäre Gesellschaften, in denen Frauen eher Männerrollen einnehmen und umgekehrt, eine Kategorisierung eher schwer machen. Die Untersuchungen haben aber das Gegenteil zu Tage gefördert. Die Länder mit den geringsten Chancen eine korrekten Zuordnung von Persönlichkeit auf Geschlecht, waren eher traditionell geprägte Gesellschaften. Umgekehrt verhielt es sich mit fast allen modernen westlichen Gesellschaften. Diese hatten alle eine eher hohe Erfolgsquote bei der Kategorisierung. Damit sollte sehr klar belegt sein, dass es einen biologischen Einfluss vom Geschlecht auf die Persönlichkeit gibt.

Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen, und die Aussage treffen, das diese Einfluss deutlich größer als der gesellschaftliche zu sein scheint. Stephen Pinker hat also immer noch recht, wenn er die Blank Slate Annahme für definitiv widerlegt erklärt.

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