Kategorie: Gender

Der Schwätzer, oder Kategorie, Bedingung und Privileg

Eine typische Situation aus dem Alltag: Es ist morgens ca. 9:00 Uhr und man trifft sich in der Kaffeeküche. Es werden unverfängliche Themen diskutiert und von den individuellen Erlebnissen erzählt. Dabei kennt bestimmt jeder einen gewissen Typ Kollegen. Dieser Typ setzt gerne einen darauf und „toppt“ die eigenen Erzählungen. Dabei beansprucht er, bewusst oder unbewusst, die Privilegien einer bestimmten Kategorie ohne die notwendigen Bedingungen zu erfüllen. Sicher denkt jetzt der ein oder andere meiner Leser: Schön! Was meint der Autor denn nun schon wieder damit? Lassen Sie mich das gerne erläutern:

Kategorie zuerst

Menschen lassen sich entsprechend ihrer Eigenschaften, Fähigkeiten, Verhalten oder Interessen in Kategorien einteilen. Z.B. in die Kategorie „Groß“ oder „Klein“, in die Kategorie „Fußballer“ oder „Boxer“ oder in die Kategorie „Klaustrophober“ oder „Neurotiker“. Es ist nicht unüblich, dass sich Menschen im Gespräch an einer passenden oder auch unpassenden Stelle in eine beliebige Kategorie einordnen. „Ich bin übrigens auch Fußballer“, könnte so ein Satz lauten. Dann läuft bei den Zuhörern ein verständlicher Prozess ab. Jeder hat, aus Erfahrung oder auf Basis von Wissen, eine Vorstellung davon, welche Bedingungen die Zugehörigkeit einer Person zu einer Kategorie mit sich bringt. Eine solche Annahme bzgl. des Fußballers könnte unter anderem sein:

  • Die Person kann Fußballspielen
  • Die Person ist oder war in einem Verein aktiv
  • Die Person spielt immer noch in regelmäßigen Abständen Fußball

Dann Bedingung und Privileg

Sollte sich später herausstellen, dass die Person keine der Bedingungen erfüllt, werden die wenigsten Menschen die Person damit konfrontieren. Die meisten sehen wenig Nutzen in direktem Konflikt. Aber so gut wie alle Zuhörer der ursprünglichen Behauptung werden, wenn die Tatsache offenbar wird, dass die Person keine der Bedingungen erfüllt, im Gedächtnis speichern, dass die Person, gelinde gesagt, nur ein Schwätzer ist. Mit der Zugehörigkeit zu jeder Kategorie gehen gewisse Privilegien einher. Einem Fußballer wird mehr Aufmerksamkeit und seinen Aussagen mehr Gewicht geschenkt, bei einem Disput zum Thema Fußball. Mit der Behauptung einer gewissen Kategorie anzugehören, fordern Personen also, direkt oder indirekt, die Privilegien ein, die mit der Erfüllung der Bedingungen einhergehen.

„Sie können mir ruhig glauben, ich bin Programmierer.“ Hat nur eine Bedeutung oder seine Aussagen haben nur dann ein Privileg, wenn er tatsächlich die Bedingungen der Kategorie erfüllt.

Wenn es zu einer Kategorie keine Bedingungen gibt, außer der Aussage der Zugehörigkeit, dann erfüllt die Kategorie keinen Zweck, außer, scheinbar zumindest, die Privilegien für sich zu beanspruchen. Beraubt man eine Kategorie ihrer überprüfbaren Bedingungen, so verliert sie auch alle Privilegien und damit die Relevanz der Erwähnung.

Blotz

Nehmen wir z.B. an, dass es die Kategorie „Blotz“ gibt. Eine Person muss keine Bedingungen erfüllen, um „Blotz“ zu sein, außer zu behaupten, sie wäre „Blotz“. Niemand würde der Aussage „ich bin übrigens Blotz“ Beachtung schenken. Sie hat keinen Wert. Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie und das Wissen über die Zugehörigkeit einer Person zu einer Kategorie hat für Menschen einen Wert. „Hol Alex, der ist Ersthelfer“, hat einen klaren Mehrwert. Allerdings nur dann, wenn Alex auch wirklich die Bedingungen der Kategorie erfüllt.

„Blotz“ hat keinen Mehrwert. Die Aussage ist sinnentleert, da damit nicht die Behauptung einhergeht, man würde diese oder jene Bedingung erfüllen.

Wohin will ich damit eigentlich?

Mann und Frau

Wenn ich an die Kategorie „Frau“ oder „Mann“ keine Bedingung mehr knüpfe, außer, die Behauptung dieser Kategorie anzugehören, dann verliert das Wort bzw. die Kategorie jegliche Bedeutung. Wenn jeder eine Frau ist, der sich dazu erklärt, dann hat „Frau sein“ keinen Inhalt mehr. “Frauen und Kinder zuerst” wäre Sinn entleert. Jeder in einer ausreichenden Notsituation wäre sofort eine Frau.

An die Kategorie „Frau“ und „Mann“ Bedingungen zu knüpfen, ist notwendig. In der Vergangenheit waren diese Bedingungen so einfach, dass wir sie bereits 3-jährigen Kindern beibringen konnten.

Aktuell kann man aber den Versuch beobachten, die Zuordnung zu der Kategorie „Frau“ oder „Mann“ bedingungslos zu gestalten, ohne gleichzeitig auf die Privilegien zu verzichten. Die Aussage „Transfrauen sind Frauen“ zielt genau darauf ab, alle Privilegien, die Frauen genießen, auch Transfrauen zugänglich zu machen.

Die Bedingung in der Vergangenheit war, dass man weiblich sein musste, um eine Frau zu sein. Jetzt könnte man anmerken, dass ich das Problem der klaren Bedingung nur verschiebe, denn welche Bedingung muss denn für die Kategorie „weiblich“ erfüllt sein. Da sind wir wieder bei den 3-jährigen Kindern. Man erklärt es am Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser Geschlechtsmerkmale. Genauer, der primären Geschlechtsmerkmale. Da es aber sein kann, dass Menschen über gewisse primäre Geschlechtsmerkmale verfügen, aber dennoch nicht klar männlich oder weiblich sind, muss man etwas genauer werden. Aktuell wird das an den Gameten festgemacht, also ob ein Organismus Eizellen oder Samenzellen produziert, bzw. primär auf die Produktion des Einen oder Anderen ausgelegt ist.

Tatsächlich basieren die Privilegien einer Kategorie auf den Bedingungen. Einem Fußballer glaubt man eher beim Thema Fußball, weil er das Fußballspielen seit Jahren betreibt und verfolgt. Eine Frau genießt gewisse Privilegien in der Gesellschaft, weil sie gewisse Eigenschaften hat. Der instinktive Ausruf “Frauen und Kinder zuerst”, also der Ausdruck, dass besonders Frauen und Kinder schutzbedürftig oder überlebenswichtig sind, liegt die Tatsache der Fortpflanzung zugrunde. In einem Stamm kann ein Mann zur Not alle Frauen schwängern, aber eine Frau kann nicht gleichzeitig die Kinder aller Männer austragen. Für das biologische Überleben einer Gruppe sind also Frauen und Kinder entscheidend und Männer entbehrlich.

Wenn sich nun aber Männer als Frauen erklären dürfen, so genießen sie Privilegien, ohne dafür eine logische Grundlage zu haben. Frauen und Kinder sind besonders schutzbedürftig. Dieser Bedarf begründet sich unter anderem auch dadurch, dass Frauen und Kinder Männern körperlich unterlegen sind. Zusätzlich sind die aggressivsten und damit für andere gefährlichsten Menschen in einer Gruppe oder Gesellschaft, Männer. Auch im Bereich sexueller Gewalt sind Männer als Tätergruppe bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil stark überrepräsentiert.

Die Privilegien, vor allem der besondere Bedarf an Schutz, sind also begründet durch empirisch beobachtbare Tatsachen. Aktuell zwingt uns der Zeitgeist aber dazu, die subjektiven Emotionen einzelner oder sehr kleiner Minderheiten höher zu bewerten, als die durch Beobachtung begründete Realität.

Es ist wichtig, dass wir, als Gesellschaft, es auch Minderheiten ermöglichen, ein Leben entsprechend ihrer Empfindungen zu führen. Wir gehen aber zu weit, wenn wir Kategorien und Privilegien, die empirisch begründet sind, dem subjektiven Empfinden Weniger opfern. In einer freien, westlichen Gesellschaft darf kein Mensch erwarten, dass seine Empfindungen über sich oder die Realität, beobachtbare Tatsachen und darauf begründete Regelungen für alle Menschen außer Kraft setzen. Eine konsequente Anwendung dieses Prinzips, also die subjektive Empfindung höher zu werten als objektive Regelungen, macht ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Individuen in einer Gesellschaft unmöglich.

Gender – Der Versuch einer Einordnung

Ich bin im Jahr 1982 geboren, ein Kind der 80er und verlebte meine Jugend in den 90ern, geprägt von Bravo und Baywatch, oder in meinem Fall, geprägt von dem White Dwarf und ‘Star Trek The Next Generation’. Ich hatte in meiner Jugend einen Job im produzierenden Gewerbe. Dort spülte ich Kapillarrohre, machte die Qualitätsprüfung von Bauteilen oder schraubte einzelne Komponenten eines Probengebers oder der Optik zusammen. Am Ende kam als Produkt ein chemischer Chromatograf raus.

Ein Mitarbeiter in diesem Unternehmen wollte kein Mann mehr sein. Ich kannte den Herren kaum, ich glaube, er saß oben, in der Softwareentwicklung, während ich unten bei den Arbeitern in der Produktion meinen Dienst verrichtete. Also war der Herr dann eine Dame, kleidete sich entsprechend und wurde, nach allem was ich mitbekam, auch so behandelt. Ob der Herr oder die Dame medizinische Maßnahmen ergriffen hat, um seine Erscheinung über die Garderobe hinweg weiter dem gewünschten Geschlecht anzugleichen, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war das mein erster Kontakt mit dem Thema Transsexualität, wie man in den 90ern noch sagte.

Heute sprechen wir davon, dass man sich sein Gender auswählen kann. Sagen wir zwar nicht so, wir sprechen davon, sich sein Geschlecht aussuchen zu können, meinen aber Gender, wenn es ums Aussuchen geht. Die deutsche Sprache ist da um einen Begriff ärmer als die englische. Im Englischen unterscheidet man zwischen ‘sex’ und ‘gender’. Der erste Begriff meint das biologische Geschlecht, der zweite Begriff meint das, ja was eigentlich? Was bedeutete der immer häufiger gebrauchte Begriff ‘Gender’ und woher kommt er?

Wie wird Gender definiert und woher kommt der Begriff

Nehmen wir einmal eine zeitgenössische Definition und schauen, wie weit wir damit kommen. Auf der Seite Genderdings finden wir folgendes: „„Gender“ ist ein englisches Wort für Geschlecht. Genauer: für das soziale, das gelebte und gefühlte Geschlecht, im Unterschied zu „sex“, dem bei Geburt aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesenen Geschlecht.“

Dass das Englische hier zwei Begriffe hat, wussten wir ja schon. Neu ist jetzt, dass Gender das soziale, gelebte und gefühlte Geschlecht meint. Alternativ kann man auch von Geschlechtsidentität sprechen, wie wir weiter unten auf der Seite finden. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang dann immer schnell ergibt, ist, wie viele Geschlechter oder Geschlechtsidentitäten gibt es denn? Wir erfahren, viele, sehr viele, auf jeden Fall mehr als zwei und vielleicht so viele wie es Menschen gibt. Wir kommen später nochmal auf die Geschlechtsidentität und ihre Anzahl.

Aber woher kommt der Begriff Gender denn nun? Im Englischen, so habe ich es noch gelernt, steht Gender seit Jahrzehnten nur für das grammatikalische Geschlecht von Wörtern. Im Deutschen ist der Ausdruck dafür das Genus. Erst 1955 wird der Begriff für die Geschlechtsidentität benutzt. Und zwar von einem Mann namens John Money (er hatte auch die Begriffe Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen eingeführt).

Er meinte damit ein soziales Geschlecht, das von dem biologischen Geschlecht unterschiedliche sein könne. Frei nach Simone de Beauvoir, die schrieb, zu einer Frau wird man gemacht, ging Money davon aus, dass unsere Geschlechtsidentität ein soziales Konstrukt ist. In seiner Vorstellung reduziert die Gesellschaft die Diversität der Geschlechter künstlich oder konstruiert auf lediglich zwei, männlich und weiblich. Weiter war er der Überzeugung, dass man einen Jungen nur durch Erziehung zu einem Jungen macht.

Der Fall Bruce/Brenda oder John/Joan

Money bekam auch eines Tages die Chance, seine Theorie zu testen. Die Familie Reimer kam zu ihm mit ihrem Sohn Bruce. Er hatte eine Vorhautverengung und bei dem Versuch diese zu beheben war der Penis irreparabel beschädigt worden. Money sah seine Chance und empfahl der Familie die Kastration und den rudimentären Aufbau weiblicher Genitalien und die Erziehung von Bruce als Brenda, also als Mädchen. Wichtig dabei sei, dass Bruce/Brenda niemals erfahren dürfe, dass er eigentlich, zumindest biologisch, einmal ein Junge gewesen ist.

Bruce bekam ab dem 12. Lebensjahr weibliche Hormone. Interessant war auch, dass Bruce einen Zwillingsbruder hatte. Es wurden auch jährliche Termine vereinbart, in denen Money die Kinder untersuchte und den Fortschritt dokumentierte. Money war eine Koryphäe auf seinem Gebiet und veröffentlichte Arbeiten über seinen erfolgreichen Beweis, dass ein Junge einfach zu einem Mädchen werden konnte, wie zum Beispiel „Transsexualism and Sex Reassignment“ im Jahr 1969.

In der Literatur wurde der Fall als „John/Joan“ berühmt, so nannte Money Bruce/Brenda in seinen Werken. Dafür war nur notwendig, dass man ihn als Mädchen behandelt, die Geschlechtsteile angleicht und ihm Hormone gibt. Diese Erkenntnisse wurden über Jahrzehnte so an den unterschiedlichen Universitäten unterrichtet und sind die Basis für die heutigen Forderungen, die unter anderem in Deutschen Selbstbestimmungsgesetz Eingang gefunden haben.

Aber was wurde tatsächlich aus Bruce? Erst 1997 wurde in „Archives of Adolescent and Pediatric Medicine“ bekannt, dass das Experiment gescheitert war. Brenda benahm sich nie wie ein Mädchen, sie interessierte sich nicht für Puppen und Schmuck, sondern für das Spielzeug ihres Bruders, Autos und Waffen. Sie tobte und raufte und wollte nur Hosen tragen. Sie wollte auch nie im Sitzen urinieren. Erst mit 14 fand sie heraus, dass sie einmal ein Junge war und machte daraufhin die Geschlechtsumwandlung rückgängig.

Es wurde auch bekannt, warum die Kinder nie zu den Terminen zur Untersuchung in die Johns Hopkins Gender Identity Clinic zu Dr. Money fahren wollten. Er hatte die beiden über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Money vertrat auch andere krude Ideen, um freundlich zu bleiben, wie die „sexuelle Schulung und Erziehung von Kindern“. Ich gehe an der Stelle nicht genauer darauf ein, was er damit konkret meinte. Der Bruder von Bruce/Brenda starb 2002 an einer Überdosis Medikamenten und Bruce/Brenda nahm sich im Jahr 2004 das Leben. Seine Mutter sprach davon, dass ohne John Money und sein gescheitertes Experiment ihr Sohn noch am Leben wäre.

Gender vs Geschlecht

Der Ursprung des Wortes Gender und der Idee, man könne einfach sein soziales Geschlecht wechseln, geht also auf eine, gelinde gesagt, dubiose Figur, John Money, und ein gescheitertes Experiment zurück. Aber machen wir mal weiter bei dem Versuch den Begriff und seine Definition genauer zu verstehen. Gender meint also das soziale Geschlecht oder die Geschlechtsidentität und kann vom biologischen Geschlecht abweichen. Nehmen wir uns kurz die Zeit und rekapitulieren, was das biologische Geschlecht ist und meint.

Lebewesen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, Prokaryonten und Eukaryonten. Eukaryonten haben einen Zellkern, Prokaryonten haben keinen Zellkern. Die Eukaryonten (Pflanzen, Tiere und Pilze) pflanzen sich geschlechtlich oder sexuell fort. Dabei wird die DNA von zwei Organismen kombiniert und es entsteht eine neue einmalige DNA. Ein Teil steuert dabei größere Keimzellen bei, auch Eizellen genannt, und wird als weiblich bezeichnet, und ein anderer Organismus steuert kleinere Keimzellen, oder Samenzellen, bei und wird männlich genannt. Ein anderes Geschlecht gibt es nicht.

Neben dem klar binären biologischen Geschlecht soll also die Geschlechtsidentität abweichen können und alles andere als binär sein. Die Frage, die sich aber an dieser Stelle stellt, ist, wie unterscheidet sich die Geschlechtsidentität von der Identität? Es ist klar, dass es so viele Identitäten gibt, wie es Menschen gibt. Und es ist auch klar, dass ein Teil der Identität die individuelle Sexualität ist. Was ist aber die Geschlechtsidentität? Ist es der Teil der Identität, der sich mit der Sexualität als allem rund um das Thema Geschlecht und Fortpflanzung dreht? Es scheint nicht einfach zu sein.

Genderdings widerspricht sich in dem Begriff Wirrwarr schnell selbst.
An einer Stelle finden wir: „Der Begriff ‚Gender‘ wird … genutzt: Immer dann, wenn es um das soziale Geschlecht und um Geschlechtsidentität … geht.“,
also Gender=Geschlechtsidentität/soziales Geschlecht. Oder Gender=Geschlechtsidentität,
dann finden wir: „Mit dem sozialen Geschlecht sind Geschlechterrollen gemeint.“,
also Gender= Geschlechtsidentität/soziales Geschlecht=Geschlechterrollen oder Gender=Geschlechterrollen,
und dann finden wir: „Geschlechtsidentität ist nicht das gleiche, wie Geschlechterrollen.“,
also Gender= Geschlechtsidentität ≠ Geschlechterrollen= Gender oder Gender≠Gender.

Nehmen wir, um wenigstens weiter machen zu können, trotz all der Verwirrung den Begriff Geschlechtsidentität. Damit Gender als Geschlechtsidentität aber einen Zweck erfüllt, kann sie nicht identisch sein mit der Identität, sonst wäre der Begriff überflüssig. Nehmen wir also an, dass Gender die Geschlechtsidentität als Teil der Identität meint, der alles beinhaltet, was mit Sexualität und Geschlechtlichkeit zu tun hat, ohne diese Begriffe weiter zu beleuchten. So weit würde sich keiner daran stören. Ich denke, es ist offensichtliche, dass jeder Mensch eine individuelle Sexualität hat oder eben seine eigene Geschlechtsidentität bzw. eben Gender.

Freie Wahl bei der Identität?

Jetzt ist aber die Vorstellung, dass man sich seine Geschlechtsidentität frei wählen kann, eng mit dem Begriff Gender verbunden. Grundlage hierfür ist die Theorie von John Money, die im ersten Experiment bereits gescheitert war (zugegeben, Experimente mit einer Grundgesamtheit von N=1 sind nicht sonderlich aussagekräftig). Übertragen wir das Konzept doch mal auf andere Bereich der Identität wie meine Präferenzen bei Essen. Kann ich frei wählen, was ich für Speisen ich mag? Können Sie das, werter Leser? Die einfache Beobachtung des Alltags zeigt, dass man das nicht kann. Jeder mit einem Wunsch nach einer schlanken Figur würde seine Leidenschaft für Schokolade einfach gegen eine Leidenschaft für Gurken tauschen.

Ebenfalls in den 90ern wurde ich so erzogen, dass Homosexualität angeboren ist und wir Menschen so akzeptieren müssen wie sie sind. Eine versuchte Umerziehung von Homosexuellen verstößt gegen die Menschenwürde. Und das war damals und auch heute noch durchaus Thema. Speziell fundamentale Christen sind davon überzeugt, dass man Homosexualität „heilen“ kann. Tatsächlich kann ich nicht wählen, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. Der Mensch kann auch nicht wählen, welche Merkmale oder Praktiken er sexuell als anregend empfindet und welche nicht. Das alles ist Teil der sexuellen Selbstempfindung und somit auch Teil der Geschlechtsidentität oder Teil von Gender.

Wie ist es aber mit dem Kollegen aus dem produzierenden Gewerbe aus der Anekdote in der Einleitung? Hat er sein Schicksal selbst gewählt? Ich denke nicht. Ich hatte einmal ein Gespräch mit einem Homosexuellen, der anmerkte, dass, wenn er die Wahl hätte, dann hätte er ein normales Leben gewählt. Es ist klar, dass es Menschen gibt, die sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen. Es ist darüber hinaus auch klar, dass es Menschen gibt, die sich mit dem eigenen biologischen Geschlecht unwohl fühlen. Beides bedeutet aber nicht, dass sich jeder sein Geschlecht oder seine sexuelle Präferenz frei wählen kann.

Eine sogenannte Geschlechtsinkongruenz oder Geschlechtsdysphorie muss klar diagnostiziert werden. Nicht jeder Heranwachsende, der in seiner Pubertät ein Unwohlsein gegenüber der eigenen Geschlechtsidentität entwickelt, ist automatisch im falschen Körper. Studien zeigen, dass über 80 % der Jugendlichen im späteren erwachsenen Leben das Unwohlsein ablegen. Ein Großteil davon erweist sich als Homosexuelle. Für Personen mit einer Geschlechtsinkongruenz sind unterschiedliche Behandlungen sinnvoll und hilfreich. Für Personen, deren Ursache für das empfundenen Unwohlsein mit der eigenen Geschlechtsidentität woanders liegt, sind die gleichen Behandlungen jedoch schädlich und gefährlich.

Gender meint also den Teil der Identität, der die eigene Sexualität und die eigene Geschlechtlichkeit beinhaltet. Die Vorstellung, dass man diese frei wählen könne, steht nicht in Übereinkunft, mit allem was wir von Identität wissen und im Alltag erleben. Weiter heißt das aber nicht, dass es keine Geschlechtsinkongruenz gibt, und dass man diese nicht mit z.B. Hormonen behandeln sollte. Nur vor der Behandlung, die irreversible Folgen wie Zeugungsunfähigkeit oder Unfruchtbarkeit haben kann oder einer Operation (deren Fehlerquote je nach Quelle mit 30 % bis 60 % angegeben wird) sollte eine klare psychologische Diagnose stehen, um sicherzustellen, dass die Behandlung auch die Ursache des empfundenen Unwohlseins bekämpft.

8 Gründe, warum ich mich dem Gendern verwehre

Wie Ihnen, werter Leser, spätestens jetzt auffallen sollte, gendere ich nicht. Ich habe die deutsche Sprache, trotz des Hindernisses der Legasthenie, lieben gelernt. Daher liegt es mir am Herzen, ihr treu zu bleiben. Heißt das nun, dass Sie, lieber Leser, automatisch ein Mann sind oder sein müssen, oder ich mich diesem Irrtum blauäugig hingebe? Keineswegs, ich nutze eine sogenannte Funktionsbezeichnung. Ich fasse alle Menschen, die diese Zeilen lesen, ihrer Funktion nach zusammen und verwehre mich somit dem Gendern.

Das bedeutet, ich messe Ihrem Geschlecht oder Ihrer Hautfarbe oder Ihrer Schuhgröße, zumindest in Bezug auf ihre Funktion als Leser, keine wesentliche Bedeutung bei. Trennende Kategorien will ich bewusst vermeiden. Würde ich Leser und Leserin schreiben (oder LeserInnen, Leser:innen etc.), würden manche, vielleicht sogar alle, kurz an der Stelle hängen bleiben. Ich würde so unweigerlich darauf hinweisen, dass es Männer und Frauen gibt, und dass dies scheinbar eine Bedeutung beim Lesen dieser Zeilen hat.

Meine Überzeugung ist aber, dass uns mehr verbindet als uns trennt. Jeder durchlebt das, was ich gerne als die menschliche Erfahrung beschreibe. Wir werden geboren, wachsen auf und entwickeln uns körperlich und geistig zu einer Persönlichkeit, bekommen vielleicht selbst Kinder, und erleben, wie diese die gleichen Erfahrungen durchlaufen, bei denen wir sie begleiten dürfen. Wir bauen Beziehungen zu anderen Menschen auf und erleben deren Schicksal mit und schließlich werden wir älter und verfallen langsam an Körper und Geist und eines Tages tun wir unseren letzten Atemzug. Die Zeit, die uns gegeben ist, sollten wir nicht damit verbringen, bei jeder Gelegenheit darauf zu verweisen, was uns trennt.

Das sind aber nicht die einzigen Gründe, weswegen ich das Gendern ablehne. Um es kurz zu machen, liste ich alle hier kurz auf:

  1. Es ist grammatikalisch nicht korrekt
  2. Die ihm zugrunde liegende Annahme ist nicht bestätigt
  3. Es wirkt trennend, nicht verbindend
  4. Es macht Sprache und damit Kommunikation noch komplizierter
  5. Es ist nur einseitig
  6. Es beraubt der Sprache ihrer Möglichkeiten
  7. Seine Wurzeln sind zutiefst Männerverachtend
  8. Es ist nicht schön

Lassen Sie mich das etwas genauer ausführen.

Die Grammatik des Genderns

Auch die grammatikalische Korrektheit ringt hier und da vielleicht nur ein Lächeln ab. Es ist aber nicht klar, was MitarbeiterInnen sind. Sind damit „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ gemeint? Oder sind „Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen“ gemeint oder nur „Mitarbeiterinnen“? Welchen Artikel hat MitarbeiterInnen? Und wie ist der Genitiv oder Dativ zu bilden? „Des Mitarbeiters“ und „der Mitarbeiterin“ kann nicht gleichzeitig korrekt sein. Und wie wird das Wort mit „-Innen“ gebildet, wenn die weibliche Form mit einem Umlaut gebildet wird oder der letzte Buchstabe fehlt: AnwaltIn, KochIn, BiologeIn, JudeIn? Zusätzlich hört man bei Sprechen nur die weibliche Form.

Ein „Zu Fuß Gehender“ oder ein „Studierender“ ist eine Person, welche im diesem Moment eben jene Tätigkeit ausübt. Steht die Person aber an einer Ampel, sitz auf einer Parkbank oder isst mäßige Lasagne in der Mensa, ist die Bezeichnung grammatikalisch falsch. Jeder Deutschschüler würde dafür einen Fehler angestrichen bekommen.

Auch ist in der deutschen Sprache der Plural der Frauen sprachlich privilegiert. Die Menge der „Lehrer“ enthält alle männlichen und weiblichen Lehrer. Die Menge der „Lehrerinnen“ enthält jedoch nur noch alle weiblichen Lehrer. Um die Menge der männlichen Lehrer zu beschreiben, muss ich mich eben diesem Hilfswort „männlich“ bedienen. Der reine männliche Plural kann also nur mit Hilfe zustande kommen, der weibliche Plural steht für sich allein. Politisch korrekt könnte man sagen, der männliche Plural sei besonders herausgefordert.

Die grundlegende Annahme

Der ganzen Idee liegt die Annahme zugrunde, mit der maskulinen Form werden Frauen nicht mit angesprochen oder höchstens nebenbei mitgemeint. Es gibt einige Untersuchungen, die das zu belegen scheinen. Es ist aber schwierig, in den Untersuchungen den Fokus, der in der letzten Zeit auf diesem Thema liegt, gebührend zu berücksichtigen.

Was meine ich damit? Nun, es gab eine andere Untersuchung, die verdeutlicht, welchen Effekt ich meine oder ausschließen möchte. In dieser Untersuchung wurden scheinbar Frauen für ein Bewerbungsgespräch gesucht (mehr zur Opfermentalität). Diesen Frauen wurden entstellende Narben ins Gesicht geschminkt und gesagt, sie sollen in dem folgenden Bewerbungsgespräch darauf achten, ob sie aufgrund dieser Narben anders oder schlechter behandelt werden. Kurz bevor man die Frauen in das Gespräch schickte, legte man noch einmal letzte Hand an die geschminkten Narben. Ziel sollte sein, zu untersuchen, ob entstellende Narben eine herablassende Behandlung verursachen.

Die Frauen berichteten nach dem Gespräch in großer Zahl von schlechterer Behandlung, ja sogar von direkten Bemerkungen, die sich ihrer Ansicht nach auf die Narben bezogen. Das Experiment wollte aber einen ganz anderen Effekt aufzeigen, als die Frauen dachten. Die Narben wurden beim letzten Hand anlegen tatsächlich entfernt. Die Untersuchung sollte verdeutlichen, dass wir Diskriminierung finden, wenn wir nur danach suchen. Und genau der Effekt kann sich leicht in die Untersuchung einschleichen, die feststellen will, ob sich Frauen mit angesprochen fühlen. Ob ich mich angesprochen fühle oder nicht, hat viel mit mir, meinen Überzeugungen und meiner Erwartung oder Sensibilität zu tun.

Wäre die Annahme korrekt, dass eine neutrale Sprache zu einer besseren Behandlung der Frau im gesellschaftlichen Leben führt, dann würde man ja in Ländern, die eine solche neutrale Sprache haben, zumindest eine ähnliche, eigentlich sogar eine bessere Behandlung der Frau erwarten, als das im deutschen Sprachraum der Fall ist. Türkisch und Arabisch sind beides neutrale Sprachen. Ich lehne mich wahrscheinlich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Behauptung, dass Frauen im arabischen Sprachraum keine bessere Behandlung als im deutschen Sprachraum zuteil wird.

Die Vorstellung, das Genus (grammatikalisches Geschlecht) hätte irgendetwas mit dem Sexus (biologischem Geschlecht) zu tun, ist grundfalsch. Die Geisel ist genauso wenig immer eine Frau wie der Flüchtling immer ein Mann ist. Das Mädchen ist Neutrum, und das schon seit mindestens vier Jahrhunderten.

Bei vielen Formulierungen würde selbst heute noch niemand auf die Idee kommen, dass Frauen nicht mitgemeint sind. Etwa die Frage nach der Einwohnerzahl. Keiner würde nur die Männer zählen. Oder, wenn man vom Prager Judenviertel spricht, wird keiner annehmen, dass dort nur Männer lebten.

Es trennt und verbindet nicht

Mit „Alle Insassen des Bootes“ ist eine Gruppe gemeint, deren Mitglieder alle ein gemeinsames Merkmal haben. Ein Merkmal verbindet sprachlich die unterschiedlichen Menschen und macht sie zu einer Einheit. „Die Insassen und Insassinnen“ teilt die Gruppe in zwei. Scheinbar gibt es ein trennendes Merkmal, dass nicht vergessen werden darf. Das Geschlecht. Tatsächlich ist aber in Bezug auf das sich in einem Boot befinden das Geschlecht denkbar irrelevant und die Betonung der Trennung unnötig.

Die Einseitigkeit

Auch suchen wir vergebens nach dem Bestreben gerechterweise männliche Wörter zu finden, für alle Bezeichnungen von Menschen, die im Femininum stehen. „Die Person“ meint ja sicher nur Frauen, genauso wie „die Arbeitskraft“ immer nur weiblich ist. Wie wäre die männliche Form? „Der Personer“ oder „Der Arbeitskrafter“? Und wie wäre die neutrale Formulierung? „Die PersonInnen“ oder „Die ArbeitskraftInnen“?

Besonders Unterhalsam fand ich einen Moderator bei den Öffentlichrechtlichen, der in einer Sendung mehr als einmal (es kann also kein Versprecher gewesen sein) das Wort Krankenschwester genderte. Erstens ist die Korrekte Bezeichnung Krankenpflegerin und zweitens gibt es eine Krankenschesterin in der deutschen Sprache nicht.

Es macht die Sprache noch komplizierter

Deutsch ist als Sprache schwer zu erlernen. Speziell für Menschen aus einem Sprachraum, der andere Schriftzeichen nutzt und keinen Lateinischen oder Germanischen Ursprung hat. Also Asien und der Arabische Raum, um nur zwei zu nennen. Das wird nicht einfacher durch Gendern. Die deutschen Artikel sind auch so schon ein Gräuel für jeden, der Deutsch lernen möchte. Auch bei sinnerfassenden Lesen haben immer mehr Grundschüler Verständnisschwierigkeiten. Überlegen Sie selbst, ob der folgende Satz das Erfassen der Aufgabenstellung begünstigt:

“Eine/r ist Zuhörer/in der/die andere ist Vorleser/in, der/die eine/r liest den Abschnitt vor der/die Zuhörer/in fast das gehörte zusammen.”

Eine einfache Aufgabenstellung für einen Grundschüler, die einem Erwachsenen Probleme beim Verständnis bereitet.

Es macht die Sprache ärmer

Es gibt Aussagen, die ich mit Gendern nicht mehr treffen kann. „Frauen sind die besseren Autofahrer“, oder „Heike und Klaus waren die besten Tänzer des Abends“ sind gegendert nicht mehr von der gleichen Bedeutung oder gleich gänzlich unverständlich. Generell wird durch die ständige Auftrennung der Geschlechter der Fokus einer Aussage verrückt (im wahrsten Sinne des Wortes). Ohne eine gemeinsame Bezeichnung, der Funktion nach, ist der Fokus immer von der eigentlichen Aussage abgewandt

Die männerverachtenden Wurzeln

Der Ursprung der Idee des Genderns stammt aus den 70er Jahren und nannte sich damals „Feministische Sprachkritik“ eine ihrer Urheberinnen und Vertreterinnen, Luise Pusch, schrieb dazu: „Der Mann brauchte dringend eine Abmagerungskur zur Therapie seines immer gefährlicher werdenden Größenwahns“, sie spricht über den „täglichen Genozid durch die Sprache“. Sie begeistert sich für das „schöne, lange Femininum“ und will es gegen das kurze, quasi abgehackte Maskulinum ausspielen, das sie als Schwundform auch Schrumpf-, Reduzierte-, oder Kümmerform bezeichnete. Es scheint ihr nicht nur um eine Gleichbehandlung zu gehen.

Gendern ist nicht schön

Das Argument der Schönheit mag manchen nicht überzeugen. Aber Sprache ist schön. Sie kann uns erheben. Zum Abschluss zitiere ich hier Herrn Dr. Kubelik, der das Ganze besser zusammenfasst als ich es kann (hier in einem Vortrag des Verreins der Deutschen Sprache):

Sprache trägt unser Wissen und ermöglicht uns klare Gedanken. Sie lässt uns urteilen und verhilft uns, Gefühle auszudrücken. Indem wir unseren Wünschen und Sehnsüchten, unseren Freuden und Schmerzen, unseren Ängsten und Erinnerungen Namen geben, verleihen wir ihnen Lebendigkeit und Dauer. Indem wir sagen, was uns glücklich macht und was misslungen ist, was uns ängstigt und was wir hoffen, erschaffen wir eine eigene, greifbare Gegenwart. Ein altertümlicher Ausdruck macht uns längst vergessene Kindheitstage wieder lebendig; ein guter Witz löst uns aus einer inneren Anspannung; eine schöne Formulierung kann uns begeistern und ergreifen, sie kann uns zu Tränen rühren wie Musik oder Malerei. In Augenblick der Freude, der Trauer, des Schmerzes drängen unsere Emotionen nach außen, sie suchen nach Wörtern und werden Sprache. Selbst dann, wenn niemand da ist, der es hören kann. Nur in und mit ihr können wir fordern, drohen und bitten, beten, urteilen und verurteilen, beleidigen, verletzen und trösten, belehren, argumentieren, überzeugen und lügen. So begleitet uns Sprache in fast jedem Augenblick des Lebens, sie gibt uns Orientierung und stiftet unsere Identität.

Sprache und Kommunikation ist schon kompliziert genug, auch, ohne dass wir sie politisieren. Wir wollen uns hier auf das konzentrieren, was uns verbindet, und nicht was uns trennt.

Geschlecht – Gesellschaftlich konstruiert oder bestimmender Faktor?

Vor Jahren habe ich einmal eine sehr gute Dokumentation gesehen. Nicht direkt über Geschlecht. Der Moderator der Dokumentation, Harald Eia, ist „Unterhaltungskünstler“. Im Ursprung war die Doku auf Norwegisch, da ich der Sprache nicht mächtig bin, leider, musste ich die englische Synchronisation wählen. Das Thema und der Titel waren „nature vs. nurture“. Der Originaltitel ist Hjernevask, was soviel wie Gehirnwäsche bedeutet. Man findet die Doku noch, wenn man unter einschlägigen Video-Portalen sucht, sie ist von 2010 (hier auf dem Vertreter von Google als Liste). Es ist eine der besten Dokumentationen, die ich je gesehen habe.

Der erste Teil, das Gleichstellungsparadoxon, und der fünfte Teil, es gibt insgesamt sieben, mit dem Titel homo/hetero, passen aktuell wieder sehr gut in die Debatte des Zeitgeists.

Diese Debatte tobt rund um das Thema Trans, Gender, LGBTQ+ und so weiter. Sie findet, wie so viele kulturelle Debatten heutzutage, zuerst in den USA statt. In der englischen Sprache hat man es dort etwas leichter. Es gibt die Worte “sex” und “gender”. “Sex” meint das biologische Geschlecht. “Gender” meinte, bis vor wenigen Jahren, das grammatikalische Geschlecht, wurde aber dazu umfunktioniert, die Geschlechtsidentität zu meinen (Übrigens, für den interessierten Leser versuche ich hier, mich dem Begriff Gender einmal zu nähern).

Im Deutschen müssen wir vom biologischen Geschlecht auf der einen Seite und der Geschlechtsidentität auf der anderen Seite sprechen. Zur Vereinfachung spreche ich vom Geschlecht und meine damit das biologische Geschlecht und von der Identität und meine damit die Geschlechtsidentität.

Das biologische Geschlecht

Nehmen wir zuerst das Geschlecht und wie dieses definiert wird. Es geht nicht um äußere Geschlechtsmerkmale oder Chromosomen, obwohl beides sehr, sehr gute Hinweise auf das tatsächliche Geschlecht sind. Es geht um die sogenannten Gameten, auch Geschlechtszellen genannt, und die Auslegung des Körpers diese zu produzieren.

Ist ein Organismus darauf ausgelegt, Eizellen zu produzieren, ist er weiblich und ist er darauf ausgelegt, Samenzellen zu produzieren, ist er männlich. Ein anderes Geschlecht (bitte daran denken, ich spreche vom biologischen) gibt es nicht. Es gibt beim Menschen Variationen, die eine Kategorisierung in männlich oder weiblich nicht möglich machen. Dabei geht es aber um eine sehr kleine Minderheit von ca. 0,018 %. Zum Vergleich, Menschen mit 6 Fingern sind häufiger (ungefähr 0,2 % oder zehnmal häufiger).

Was ist nun Gender?

Die Identität, so die Position in der Debatte, kann von dem Geschlecht unterschiedlich sein. Ein Mensch mit männlichem Geschlecht kann also eine weibliche Identität haben und ein weiblicher Mensch kann eine männliche Identität haben. Es wird auch die Behauptung vertreten, dass das Geschlecht (etwas unklar, welches jetzt gemeint ist, das biologische oder die Identität) ein soziales Konstrukt ist. Genauer gesagt ist damit gemeint, dass nur die gesellschaftlichen Einflüsse die Identität (wir gehen einfach mal davon aus, dass diese gemeint ist, alles andere wäre, nun, wenig einfallsreich) bestimmen und es keine biologischen Einfluss gibt. Auch die Position, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, wird von extremeren Kreisen vertreten.

Versuchen wir herauszufinden, ob es eine biologische Komponente in der Identität gibt und ob diese eine große oder eher geringe Rolle spielt. Eine ähnliche Debatte wurde auf höherer Abstraktionsebene schon vor Jahren geführt. Es ging dabei um die Frage, ob der Mensch als blankes Blatt Papier auf die Welt kommt, das dann von der Gesellschaft geformt oder, bildlich, beschrieben wird.

Eine zentrale Frage in dieser Debatte war, ob kriminelle Menschen als solche geboren werden (denn dann könnten wir als Gesellschaft nichts dagegen tun) oder von der Gesellschaft erst kriminell gemacht werden (dann könnte die Gesellschaft offensichtlich etwas dagegen tun). Der soziale Konstruktivismus nutze diese Vorstellung, um für radikalen gesellschaftlichen Wandel zu argumentieren. Stephen Pinker hat das Thema in seinem empfehlenswerten Buch “The blank Slate” abgehandelt.

Bleiben wir aber bei der Frage, ob es einen biologischen Einfluss auf die Identität gibt und welche Rolle dieser spielt. Optisch gibt es einen Einfluss. Ein Versuch, der diese Auswirkung messbar gemacht hat, war die Gesichtserkennung. Dabei werden Haare, Bart, Schminke und Schmuck entfernt bzw. ausgeblendet, sodass nur die Gesichtszüge mit geschlossenen Augen zu sehen sind. Dann sollen die Versuchspersonen das Geschlecht (wieder das biologische) kategorisieren. Die Erfolgsrate bei verschiedenen Versuchen lag bei über 95 % (z.B. hier). Wir sind also recht gut darin, das Geschlecht in den Gesichtszügen zu erkennen.

Aber wie sieht es mit der Identität aus? Wenn wir diese sichtbar machen, können wir sie dann auch einem Geschlecht zuordnen? Und wie sieht es dan mit dem Einfluss unterschiedlicher Gesellschaften aus?

Stellen wir eine Annahme auf:

Wenn die Identität nur ein gesellschaftliches Konstrukt, ohne biologische Komponenten oder Abhängigkeit vom Geschlecht, wäre, dann würden wir in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Ergebnisse beobachten. In einer Gesellschaft, die noch stark traditionelle Männer- und Frauenrollen in ihrer Kultur, ihren Regeln und ihren Gesetzen durchsetzen möchte, sollte die korrekte Zuordnung von Identität zu Geschlecht sehr einfach oder erfolgreich sein. Anders gesagt, in einer traditionellen Gesellschaft sollte die Erfolgsquote bei der Zuordnung einer betrachteten Identität auf ein Geschlecht hoch sein. Identitäten, die männlich scheinen, gehören zu Männern und Identitäten, die weiblich scheinen, eher zu Frauen.

In einer egalitären Gesellschaft, also einer Gesellschaft, die versucht, klassische Rollen durch Kultur, Regeln und Gesetze aufzubrechen, sollte eine Zuordnung von Identität zu Geschlecht deutlich schwieriger sein.

Traditionelle Gesellschaft=Hohe Erfolgsquote bei der Zuordnung von weiblicher Identität auf weibliches Geschlecht und umgekehrt

Egalitäre Gesellschaft=Geringe Erfolgsquote bei der Zuordnung von weiblicher Identität auf weibliches Geschlecht und umgekehrt

Auf dieser Basis kann man die Annahme überprüfen. Nun brauchen wir nur noch ein Werkzeug, um die Identität sichtbar zu machen, und dann müssen wir das Ganze nur noch in vielen unterschiedlichen Gesellschaften durchführen. Zum Glück ist das schon geschehen.

Mit der Identität von Menschen beschäftigt sich unter anderem die Psychologie. Dazu nutzt man unterschiedliche Modelle, um die Identität oder die Persönlichkeit von Menschen zu beschreiben. Das prominenteste Modell ist das sogenannte Big Five Modell. Dabei werden fünf Kategorien genutzt, um die Persönlichkeit zu beschreiben:

  • Aufgeschlossenheit neue Erfahrungen zu machen
  • Perfektionismus oder Gewissenhaftigkeit
  • Extraversion bzw. Gegenpol Introversion
  • Verträglichkeit oder andersherum gesagt Konfliktfreude
  • Neurotizismus meint die Tendenz negative Emotionen zu empfinden

Die einzelnen Größen können dann noch weiter differenziert werden in je zwei oder mehr Unterkategorien. Aber bleiben wir bei diesem Modell mit fünf Größen. Seit Jahrzehnten werden weltweit große Studien durchgeführt, die alle das Big Five Modell nutzen. Betrachtet man jetzt den Unterschied der Mittelwerte, die Männer und Frauen in den einzelnen Kategorien erzielen, dann sind diese eher klein. Das ist ähnlich zu den Gesichtszügen. Würde man die durchschnittliche z.B. Nasenlänge oder Nasenbreite von Männern und Frauen vergleichen, dann würde man nur minimale Unterschiede in den einzelnen Kategorien (wie Nasenlänge, Nasenbreite, Augenabstand, etc.) entdecken, die ein Gesicht ausmachen.

Betrachtet man aber das ganze Gesicht, kann man das Geschlecht erfolgreich kategorisieren (wie oben geschrieben, mit über 95 % Wahrscheinlichkeit). Das Gleiche kann man nun mit einer geeigneten statistischen Größe auch mit der Persönlichkeit machen, dem sogenannten Mahalanobis-Abstand oder D. Diese Größe beschreibt im mehrdimensionalen Raum den Abstand von unterschiedlichen Punkten zur Standardabweichung.

So, jetzt habe ich alle Leser verloren.

Wichtig ist an der Stelle nur zu verstehen, dass es mithilfe von D möglich ist, statistische Aussagen zu multivariaten Verfahren zu treffen. So auch zum Big Five Modell. Wir können uns also ansehen, wie erfolgreich wir sind, wenn wir, sozusagen, die Identität einer Person aus einer Kultur „betrachten“, und daraus auf das Geschlecht schließen.

Mehrere große Untersuchungen dazu konnten unabhängig voneinander im Schnitt ein Erfolgt von 85 % belegen (hier, hier und hier). Von der Identität einer Person auf ihr Geschlecht zu schließen ist also fast so einfach, wie vom Gesicht auf das Geschlecht zu schließen.

Wie sieht es aber mit den unterschiedlichen Gesellschaften aus? Wenn unsere Annahme oben stimmt, dann müssten besagte Studien ja eine höhere Chance der korrekten Kategorisierung in traditionellen Gesellschaften gezeigt haben.

Die egalitären Nationen (Schweden, Norwegen, Dänemark, USA, Kanada, Großbritannien usw.), also die, die versuchen, traditionelle Frauen- und Männerrollen aufzubrechen, finden sich alle in dem Bereich, mit sehr hohen Erfolgsquoten. Im Bereich mit den geringsten Erfolgschancen finden sich z.B. die meisten südostasiatischen Nationen, die noch ein sehr traditionelles Rollenbild leben. Pakistan hatte die geringste Erfolgschance mit immer noch 77 %.

Die Ergebnisse stimmen auch mit aktuellen Untersuchungen überein. In unterschiedlichen Test wurden KIs trainiert Abbilder von Gehirnen (wieder das ganze Gehirn, analog zum ganzen Gesicht oder der ganzen Persönlichkeit) in die beiden Geschlechter zu kategorisieren. Dabei konnte eine Erfolgsquote von über 95 % erzielt werden. Lustiger Ausflug: Eine KI hat anhand von Gehirnscans auch sehr erfolgreich ermittelt, ob die Besitzer der Gehirne Demokraten oder Republikaner wählen (hier).

Was macht das nun aber mit unserer Annahme?

Wir hatten angenommen, dass traditionelle Gesellschaften eine korrekte Kategorisierung eher einfach machen und egalitäre Gesellschaften, in denen Frauen eher Männerrollen einnehmen und umgekehrt, eine Kategorisierung eher schwer machen. Die Untersuchungen haben aber das Gegenteil zu Tage gefördert. Die Länder mit den geringsten Chancen eine korrekten Zuordnung von Persönlichkeit auf Geschlecht, waren eher traditionell geprägte Gesellschaften. Umgekehrt verhielt es sich mit fast allen modernen westlichen Gesellschaften. Diese hatten alle eine eher hohe Erfolgsquote bei der Kategorisierung. Damit sollte sehr klar belegt sein, dass es einen biologischen Einfluss vom Geschlecht auf die Persönlichkeit gibt.

Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen, und die Aussage treffen, das diese Einfluss deutlich größer als der gesellschaftliche zu sein scheint. Stephen Pinker hat also immer noch recht, wenn er die Blank Slate Annahme für definitiv widerlegt erklärt.

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