Kategorie: Weltanschauung

Freier Wille, aber frei von was bitte?

Wie ich sicher an der ein oder anderen Stelle schon einmal erwähnt habe, begeistern mich Geschichten in den unterschiedlichsten Medien. Eine Geschichte, die keinen kleinen Einfluss auf mein Leben hatte, wird in dem Spiel Bioshock erzählt. Der Protagonist stürzt mit dem Flugzeug über dem Atlantik ab und überlebt. Im Meer schwimmend sieht er einen Leuchtturm, in dem ein Aufzug ihn in eine seltsame, post kataklysmische Unterwasserwelt führt. Von einem Unbekannten wird er über Funk durch diese Welt geleitet. Die entscheidende Wendung der Geschichte ist, dass man von der Person über Funk manipuliert wurde. Mit einem verborgenen Code wurden die Handlungen bestimmt. Der Protagonist hatte keine andere Wahl, als so zu handeln. Er hatte keinen freien Willen.

Freier Wille vs Determinismus

Damit wären wir auch schon bei dem Konzept, dem ich mich in diesem Artikel etwas genauer nähern wollte: dem freien Willen. Ich möchte mich diesem Thema auf praktischer und weniger auf hoch philosophischer Ebene nähern. Die Frage, ob es ihn nun gibt oder nicht, den freien Willen, treibt die Philosophie schon lange um. Eine endgültige Antwort hätte einen tatsächlichen Einfluss auf unseren Alltag. Die Alternative zum freien Willen nennt man Determinismus und sie beschreibt, dass wir nicht über unser Handeln bestimmen können, sondern all unsere Handlungen vorherbestimmt sind und wir uns nicht anders entscheiden können.

Der Determinismus folgt aus der wissenschaftlichen Betrachtung der Natur. Wir beobachten, dass in der Natur nicht passiert, ohne dass es dafür einen Auslöser gibt. Speziell unter stark wissenschaftlich geprägten Personen ist die Anschauung verbreitet, dass sich dieses Prinzip des Determinismus auch auf menschliche Handlungen bezieht. Grund für unser Handeln ist also nicht unser Wille, sondern ein von uns unabhängiger Auslöser.

In einem Interview mit dem berühmten Biologen Richard Dawkins stellte ihm einer der beiden Moderatoren, Konstantin Kisin, die Frage, ob es nicht seltsam sei, dass wir bei unserem zeitgenössisch stark wissenschaftlich geprägten Weltbild, welches den freien Willen scheinbar widerlegt, unser alltägliches Leben so gestalten, als hätten wir ihn doch, den freien Willen. Also wir leben entgegen den scheinbaren Erkenntnissen unserer Weltanschauung.

Dawkins antwortet sehr respektabel darauf mit, ich weiß es nicht. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass eine solche Antwort, Dawkins führt das natürlich noch weiter aus und geht auf ein paar Punkte ein, an denen man mit seinen Nachforschungen ansetzen könnte, also die Antwort, ich weiß es nicht, immer Respekt verdient. Sie zeugt von Selbsterkenntnis und Selbstsicherheit.

Wie frei darf der Will sein?

Persönlich habe ich so meine Probleme mit der Frage, ob es einen freien Willen gibt. Betrachtet man diese Frage genauer, so fällt vor allem das Wort frei ins Auge. Wovon sollte der Wille frei sein? Im Ursprung von einem äußeren Zwang natürlich. Denkt man genauer darüber nach, sind wir uns schnell einig, dass der Wille nicht frei ist und es auch nicht sein sollte, zumindest nicht im eigentlichen Sinn.

Keiner wünscht sich einen Willen, der frei ist von den eigenen Präferenzen, der eigenen Vergangenheit, dem Temperament und den akzeptierten und für positiv empfundenen Restriktionen. Ein solcher Wille wäre der reine Zufall und kann nicht im Sinne des Anwenders sein. Uns ist klar, dass ein freier Wille immer noch der eigenen Vergangenheit und der eignen Person unterliegt. Mein Wille ist nicht so frei, und soll es auch nicht sein, dass ich auf einmal, grundlos etwas will, dass ich soeben noch nicht wollte.

Die eigentliche Debatte tobt zwischen dem freien Willen und dem Determinismus. Damit sind wir auch wieder bei Dawkins und dem wissenschaftlichen Weltbild. In der Naturwissenschaft beobachten wir nahezu ausschließlich Vorgänge, die determiniert sind. Auf eine Aktion folgt eine Reaktion. Nichts geschieht ohne Auslöser. Und hätten wir nur alle notwendigen Daten und die notwendige Mathematik, so könnten wir den Verlauf der Zeit berechnen. Wir könnten mit den vollständigen Daten, alles vorherbestimmen, da ja alles aus dem bereits geschehenen folgt.

Die Annahme von diesem wissenschaftlichen Weltbild und seinen prominenten Vertreter wie Sam Harris, Richard Dawkins oder Yuval Noah Harari ist, dass die Handlungen von Menschen ebenfalls determiniert sind. Also wir, bei vollständigem Wissen über alle relevanten Daten, genau berechnen könnten, was ich als Nächstes schreibe, tue oder denke. Der freie Wille, oder unsere Selbstwahrnehmung als ein, unter den obigen Einschränkungen, von äußeren Zwängen freier Akteur, ist demnach nur eine Illusion. Eine mächtige Illusion, wie Dawkins in dem oben erwähnten Interview anführt, aber dennoch nur eine Illusion.

Das Libet Experiment

Diese Illusionsannahme stützt sich auf ein prominentes Experiment. Das sogenannte Libet Experiment, Ende der 70er Jahre, benannt nach dem amerikanischen Wissenschaftler Dr. Benjamin Libet. Das Experiment fußt auf der Arbeit von den Doktoren Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke. Diese hatten im Gehirn, Mitte der 60er Jahre, eine spezielle „Welle“ entdeckt, die unmittelbar vor einer Entscheidung anzusteigen schien. Diese nannten sie das Bereitschaftspotential.

Die Idee des Bereitschaftspotentials war, dass sie den Prozess sichtbar macht, der das Bewusstsein auf eine Entscheidung vorbereitet. Ein solche Entscheidung könnte zum Beispiel die spontane Bewegung eines Armes sein. Im Determinismus würde diese Entscheidung durch einen äußeren Einfluss vorherbestimmt oder determiniert sein. Wir hätten nicht die Möglichkeit uns gegen die Bewegung des Arms zu entscheiden, auch wenn wir es anders empfinden, so die Annahme.

Dr. Libet hatte sein Experiment wie folgt aufgebaut. Der Proband saß und blicke auf eine oszillierende Uhr. Sobald er den Drang verspürte, betätigte er einen Schalter. Dabei merkte er sich die Position der oszillierenden Uhr. In einem Vorexperiment konnte die Abweichung bei der Zeitmessung mit 50 ms als hinlänglich genau bestimmt werden. So wurde also aufgezeichnet, wann der Proband den Willen verspürte und diesen in eine Handlung, das Betätigen des Schalters, umwandelte. Parallel dazu wurden die Hirnströme gemessen, um den zeitlichen Verlauf des Bereitschaftspotentials zu ermitteln.

Bei der Auswertung wurde der, mittels EMG (Elektromyografie)  gemessene, Beginn der Muskelaktivität als Nullpunkt gesetzt. Dr. Libet interessierte, wie viel Zeit vor diesem Beginn der Muskelaktivität das Bereitschaftspotential anstiegt und wie viel Zeit vorher der bewusste Wille nach dem Drücken lag. Die Erkenntnis war, dass das Bereitschaftspotential ca. 500 ms vor der Handlung anstieg. Der Drang den Schalter zu drücken erfolgte allerdings erst 150 ms vor der Muskelaktivität.

Die Folgerung aus diesem Experiment waren bestimmend für den Diskurs Freier Wille vs. Determinismus der nächsten Jahrzehnte. Zentrrale Erkenntnis war, dass das Gehirn bereits die Bereitschaft zur Handlung anlegt, bevor wir den Drang verspüren und somit eine bewusste Entscheidung zum Handeln vollziehen. Die Schlussfolgerung, über die man auch heute noch häufig stolpert, war, dass unser Gehirn uns die freie Entscheidung nur vorspielt und schon Millisekunden davor die Handlung angelegt wird. Scheinbar ohne unser bewusstes Zutun. Das Gehirn entscheidet also, ohne seinen Besitzer, zu handeln, so die Interpretation des Ergebnisses.

Hat uns die Wissenschaft also endlich eine Lösung der Debatte beschert? Sind wir gar nicht der Herr über unsere Handlungen, sondern nur Opfer der Illusion einer autarken Entscheidung? Leider nein, oder Gott sei Dank möchte ich anmerken. Ich werfe an dieser Stelle ein, dass ich eher gewillt bin an einen freien Willen zu glauben. So können Sie, werter Leser, diese Zeilen auch besser einordnen, da sie meine Position, oder unfreundlicher, Voreingenommenheit nun kennen. Vor dem Hintergrund meiner eigenen Position berichte ich dennoch, so objektive es mir eben möglich ist.

Neue Ergebnisse

2010 hatte ein Herr Dr. Schurger eine Erkenntnis. Bei dem Beobachten der Hirnwellen stellte er ein rein zufälliges auf und ab fest, wie bei Wellen im Ozean. Wenn man jedoch dieses Rauschen nach seinen Hochpunkten ordnen und rückwärts mitteln würde, so entstünde das Bild eines ansteigenden Trends, ohne, dass es dafür eine wirkliche Ursache gibt. Genau das hatten aber die Herrn Doktoren Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke bei ihrem Bereitschaftspotential getan. Dr. Schurger unterzog also das spontane Grundrauschen des Gehirns der gleichen Auswertungsmethodik von Dr. Kornhuber und Dr. Deecke und fand ein Muster, das aussah wie das Bereitschaftspotential.

Für eine Entscheidung im Gehirn müssen mehrere Neuronen zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen, simpel gesprochen. Sehen wir viele Schneeflocken und beobachten wir die Richtung ihrer Bewegung, so kommen wir zu der Erkenntnis, dass der Schnee nach unten fällt. Meist sind wahrgenommene visuelle Reize oder andere äußere Eindrücke, Grundlage oder Auslöser einer Entscheidung und somit einer Handlung. Passiert nichts, tun wir nichts, könnte man sagen. In Dr. Libets Experiment gab es aber keine äußeren Eindrücke, nach denen eine Entscheidung getroffen werden konnte. Es mussten, so zu sagen, zufällig mehrere Neuronen übereinstimmen, um die Handlung auszulösen.

Dr. Schurer stellte den Versuch von Dr. Libet nach. Er erweiterte den Aufbau aber um eine Kontrollgruppe, die nichts tun sollte. Eine künstliche Intelligenz wurde genutzt, um zu ermitteln, zu welchem Zeitpunkt sich die Gehirnwellen der nicht handelnden und handelnden Probanden unterschieden. Sollte Dr. Libet mit seiner Schlussfolgerung richtig liegen, und die Entscheidung zum Handeln ohne unser Zutun stattfinden, so müssten sich die Wellen ca. 500 ms vor der Messung der Muskelaktivität unterscheiden. Der ermittelte Unterschied lag aber bei ca. 150 ms vor der Handlung, also genau in dem Bereich, in dem auch im Dr. Libets Experiment die Probanden eine bewusste Entscheidung zur Bewegung trafen.

Dr. Libets Erkenntnis und die scheinbare Lösung der Frage frei oder nicht frei gilt seitdem als widerlegt. Die Neurowissenschaft hat uns nicht aus der Patsche geholfen. Heißt das nun aber, dass es einen freien Willen gibt. Nun, leider auch das nicht zwingend. Zumal ein wirklich freier, also zufälliger Wille, ja auch keine wünschenswerte Erkenntnis ist.

Freier Wille und MacIntyres Unvorhersagbarkeiten

Ich möchte Sie noch mit Gedanken und Argumenten aus der Philosophie konfrontieren, die wenig bekannt sind. Alistair MacIntyre hat vier zentrale Punkte herausgearbeitet (hier kurz in einem Video dargelegt), mit denen er gezeigt haben möchte, dass ein starker Determinismus vom Tisch ist. Genauer, vier Unvorhersagbarkeiten. Dem Determinismus folgend, und ich mag mich hier bei der Dartstellung täuschen oder zu ungenau sein, ließen sich unsere Gedanken und Handlungen vorherbestimmen, wenn wir nur alle relevanten Daten kennen würden. Hätten wir ein komplettes Wissen über die Daten bzw. Aktionen, so könnten wir die Handlungen bzw. Reaktionen vorherbestimmt. Menschliches Verhalten wäre damit zu 100 % Genauigkeit vorhersagbar (der sogenannte starke Determinismus). 

Laut MacIntyre ist dies logisch unmöglich. Sein erster Punkt, oder die erste Unvorhersagbarkeit ist, die von konkreten Konzepten oder Ideen. Stellen Sie sich drei Steinzeitmenschen vor. Der erste sagt: „In zehn Jahren werden wir das Rad erfinden“, der zweite fragt berechtigterweise: „Was ist ein Rad?“, woraufhin der dritte in allen Details erklärt, was ein Rad ist. Damit ist das Rad aber schon erfunden. Die Entwicklung komplexer Konzepte ist nicht vorhersagbar, da die Vorhersage bereits das Konzept umfassen würde.

Die zweite Unvohersagbeitkeit ist, dass wir nicht wissen können, was wir als Nächstes denken. Unsere zukünftigen Gedanken sind in unserem Gehirn nicht vorhanden, wären sie es, so wären sie unsere jetzigen Gedanken. Daraus folgt auch gleich seine dritte Unvorhersagbarkeit. Der Spieltheorie folgend ist es nicht möglich, den Ausgang eines Spiels mit mehreren unabhängig voneinander handelnden Akteuren mit unterschiedlichen Interessen genau vorherzusagen. Da keiner der Akteure seine zukünftigen Gedanken und Handlungen kennt, kann er auch unmöglich die zukünftigen Handlungen und Gedanken der anderen Spieler kennen.

Die letzte Unvorhersagbarkeit MacIntyres ist die Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse. Wir wissen nicht, wie wir auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren werden. Paris konnte nicht wissen, dass Helenas Aussehen seine Aktionen auf die Art beeinflussen würden, dass er einen Jahrzehnte langen Krieg auslösen würde. Diesen vier Unvorhersagbarkeiten folgend, kann menschliches Verhalten logisch nicht vorhergesagt werden, und damit ist ein starker Determinismus vom Tisch, argumentiert MacIntyre.

So, und was machen wir nun praktisch mit unseren Erkenntnissen?

Für den Autoren scheint festzustehen, dass der freie Wille nicht widerlegt ist und dass ein starker Determinismus schwer mit der wahrgenommenen Welt in Einklang gebracht werden kann. Ein Leben der Annahme folgend, dass wir, basierend auf unserer Person, Präferenz und vergangener Prägung, frei Entscheidungen treffen können und für diese Entscheidungen Verantwortung tragen, erscheint ihm daher sehr sinnvoll. Und selbst Dawkins, ein klarer Anhänger des Determinismus, gesteht ein, dass er auf genau diese Art und Weise seinen Alltag gestaltet.

Meine 7 Stolpersteine des Klimawandels

Im Jahr 2006 besuchte ich das Kino in der Stadt meiner Hochschule (bevor es wenige Zeit später geschlossen wurde und ja, es war das einzige Kino in dieser Stadt) und sah den Film “Eine unbequeme Wahrheit”. Der Film schockte mich. Ich war Anfang/Mitte zwanzig und noch sehr am Anfang meiner Persönlichkeitsfindung. Ich geriet kurz darauf in einen lauten und heftigen Streit mit einem guten Freund von mir. Anlass war das Wort “Wahrheit” im Titel des Films. Ich war überzeugt von der Wahrheit des Inhalts. So sehr, dass ich mein Studium darauf ausrichtete.

Es ging natürlich um den Klimawandel, der damals noch Erderwärmung hieß und aktuell langsam zur Klimakatastrophe wird, zumindest dem Wortlaut nach. Nach Beendigung meines Studiums und meinem ersten Arbeitsplatz im Bereich Bioenergie und Wärmetechnik setzte langsam ein Erkenntnisprozess ein. Ich wurde kritischer und mir fielen immer mehr Punkte auf, über die ich stolperte, wenn ich versuchte, die tatsächlich komplexe Thematik, zu ordnen oder klar zu greifen.

Heute, also 18 Jahre später, möchte ich die wichtigsten Punkte auf unterschiedlichen Ebenen zusammentragen, die mich auch heute noch stolpern lassen.

Wenn man über den Klimawandel spricht, muss man als Erstes zwei Ebenen trennen, die leider immer miteinander vermischt werden: Die politische Ebene und die empirische Ebene (ich spreche absichtlich nicht von „wissenschaftlich“, da damit leider oft die politische Ebene gemeint oder bedient wird).

Vertritt man eine kritische Position gegenüber dem politischen Umgang mit dem Klimawandel in Deutschland oder Europa, findet man sich schnell in der Ecke, in der die Leute stehen, die die „Wissenschaft“ nicht anerkennen, so bedauerlicherweise häufig die „Argumentation“, oder genauer, Anschuldigung der vermeintlichen Gegenseite. Ungünstigerweise verkennt dieser Vorgang, dass man auch bei einer Anerkennung der empirischen Ebene, sich der politische Kurs, den Deutschland oder Europa eingeschlagen hat, nicht zwingend ergibt. Oder anders, auch wenn wir uns empirisch einig sind, können wir dennoch politisch unterschiedliche Lösungen für richtig erachten.

Die andere Ebene ist die empirische oder wissenschaftliche. Also weniger die Frage, wie wir mit dem Klimawandel, oder genauer, mit dem menschengemachten Anteil davon, politisch oder gesellschaftlich umgehen, sondern eher die Frage, wie signifikant ist der menschengemachte Anteil am Klimawandel und wie signifikant ist der Klimawandel. Die Gegenseite stellt hier häufig die äußerst eloquente Behauptung auf, man würde den Klimawandel „leugnen“, wenn man auf dieser Ebene diskutiert. Auch hier ist wohl weniger ein inhaltlicher Austausch oder eine ehrliche Suche nach dem wahren Kern in der Sache das Ziel des Gesprächs, als mehr das untragbar Machen der Gegenseite durch vehementen Einsatz von Ad Hominem Vorwürfen, ganz nach Arthur Schopenhauers Eristischer Dialektik (Untertitel: Die Kunst recht zu behalten).

Widmen wir uns also den Stolpersteinen, die es mir mittlerweile unmöglich machen, in der gleichen Leidenschaft dem Ökologismus zu frönen wie gewisse Mitglieder unserer Gesellschaft, die ein gezieltes Zerstören von Kunstwerken als geeignete Methode des Diskurses erachten oder einfach nur gerne den Verkehr stören.

Ich konnte in Summe sieben ausmachen, die mich stolpern lassen:

  1. Nach aktueller Einschätzung ist der Weltuntergang nicht zwingend
  2. Erneuerbare machen die Versorgung gesichert unsicherer bei ungesicherter Weltuntergangslage
  3. Umweltschutz vs. Sozialismus
  4. Ökologismus vs. Ökomodernismus
  5. Umweltschutz ist Luxus
  6. Was ist die mittlere Temperatur und messen wir diese korrekt
  7. Macht korrumpiert

Nach aktueller Einschätzung ist der Weltuntergang nicht zwingend

Auch wenn wir es uns kaum vorstellen können, in unserem hoch technologisierten Zeitalter, in dem das Wissen der Welt auf dem Touchscreen in der Hosentasche binnen Sekunden verfügbar ist, aber wir können die Zukunft immer noch nicht vorhersagen. In der Klimaforschung bedient man sich unterschiedlicher Szenarien. In 2014 wurden die RCP Szenarien aufgestellt. Diese hatten die SERS Szenarien abgelöst, die ihrerseits wiederum die IS92-Szenarien von 1992 abgelöst hatten. Diese RCP Szenarien wurden dann 2021/22 im 6. Bericht des IPCC von den SSP Szenarien abgelöst.

Keines der Szenarien bietet wirklich den Stoff für einen Weltuntergang. In den schlimmsten Szenarien steigt der Meeresspiegel um ca. 40 cm bis 2100. Die Niederlande liegen zu einem großen Teil 5 m unter dem Meeresspiegel und machen sich ganz gut dafür.

Einzige Möglichkeit, dass selbst in einem Worst-Case-Szenario wie dem RCP 8,5 (wir verbrennen alles an Kohle, was wir aktuell an Vorkommen haben und dann fast nochmal so viel) sich die fast schon ersehnten apokalyptischen Zustände einstellen, sind die sogenannten Kipppunkte. Die Annahme dahinter ist, dass das System Klima bei Erreichen oder besser Überschreiten von unterschiedlichen Kennzahlen oder Messwerten kippt. Also bildlich gesprochen, wie ein Würfel, der von einer Seite auf eine andere fällt, wenn man ihn nur weit genug kippt. Tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein so komplexes und dynamisches System wie unser Klima über nur wenige Freiheitsgrade verfügt. Es ist eher wahrscheinlich, dass unser Klima kein Würfel, sondern ein Ball ist. Und der kippt nicht.

Ein weites Indiz für das Ausbleiben des Weltuntergangs ist die Anzahl der Opfer von Naturereignissen. Sollte sich in den letzten hundert Jahren, das Klima tatsächlich Richtung Katastrophe entwickelt haben, wie hier und da dargestellt, dann sollten wir ja eine Zunahme oder wenigstens eine konstante Opferzahl von Naturereignissen beobachten. Zumal sich die Weltbevölkerung seit 1920 vervierfacht hat, also über deutlich mehr potenzielle Opfer verfügt (Der Zuwachs fand hauptsächlich in der sich entwickelnden Welt statt). Aber die Zahlen sinken. Waren es 1920 noch 500.000 (im 5-Jahresschnitt betrachtet) sind es 2022 nur noch etwas über 10.000 gewesen.

Häufigkeitsverteilung der Produktion Windkraft: In Blau die Leistung die zur Verfügung steht und in rot der Bedarf. Es ist sofort offensichtlich, wie „gut“ das zusammenpasst.

Erneuerbare machen die Versorgung gesichert unsicherer bei ungesicherter Weltuntergangslage

Wenn wir uns vor Augen geführt haben, dass der Weltuntergang einerseits nicht zwingend ist und andererseits nicht unmittelbar bevorsteht, so lassen sich politische Maßnahmen vor diesem Hintergrund ganz anders einordnen. Im Unterschied zur Unsicherheit des Weltuntergangs ist die Unsicherheit der Energieversorgung mit Wind und Sonne gesichert. Was meine ich damit? Nun ganz einfach, dass nicht immer Sonne scheint und oder Wind weht. Das Jahr hat 8766 Stunden und in Deutschland haben wir ca. 66 GW Windkraftanlagen. Schätzen sie wie viele Stunden diese Windkraft anlagen die volle Leistung gebracht haben?

Antwort: 0h. Gehen wir etwas runter. Wie viele Stunden haben sie denn mindestens 80 % der installierten Leistung gebracht? 3h. Nun, das klingt nicht ermutigend. Sind wir noch freundlicher und fragen, wie viele Stunden haben sie denn wenigstens 50 % der Leistung gebracht? 1.323,66h, also fast 10 % der Stunden in einem Jahr. Das ist doch schon mal was. Aber welche Leistung haben sie denn dann mindestens in 50 % der Stunden in einem Jahr geliefert? Die Antwort ca. 14GW oder ca. 20 % der installierten Leistung. Das heißt, dass ich bei 66 GW installierter Leistung, oder Tausenden von Windrädern, die Hälfte des Jahres 80 % der Leistung aus anderen Quellen decken muss. Zum Vergleich, ein Kernkraftwerk läuft ca. 8600h im Jahr auf 100 %.

Erneuerbare Energie, im speziellen Wind und Sonne erhöhen unsere Abhängigkeit von Wind und Wetter, und tun damit genau das Gegenteil von dem, was Technologie seit dem Mittelalter getan hat, nämlich uns unabhängig von Wind und Wetter zu machen. Wir können Licht haben, wenn es dunkel ist und Mehl malen, auch wenn kein Wind geht. Noch zumindest.

Umweltschutz vs. Sozialismus

Einer meiner größten Stolpersteine ist, dass es mir schwerfällt gerechtfertigten Umwelt- oder Klimaschutz von Sozialismus abzugrenzen. Beide wollen nämlich scheinbar dasselbe. Sie wollen die freie westliche kapitalistische Gesellschaft durch eine von Räten oder anderen zentralisierten Machthabern (bei allen Sozialismen der Geschichte war es früher oder später der despotische Alleinherrscher, aber das nur am Rande) gesteuerte Planwirtschaft ersetzen.

Ulrike Herrmann muss man, trotz aller kritikwürdigen Punkte in ihrem Buch “Das Ende des Kapitalismus”, zugutehalten, dass sie als eine der ersten eine konkrete Lösung vorgeschlagen hat. Ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft auf den Stand von 1974 durch ein Modell, dass sich an der englischen Kriegswirtschaft orientiert. Also eine von Räten gesteuerte Planwirtschaft. Bisher hat uns die Geschichte ziemlich eindeutig vor Augen geführt, dass der Kapitalismus die bessere Variante ist, um mit dem Problem der Verteilung von begrenzten Ressourcen umzugehen.

Umwelt und auch Klima kann sehr gut als eine solche knappe Ressource betrachtet werden (bisher haben wir tatsächlich nur eine Erde). Daher erschließt sich mir nicht, warum hier das Klima eine Ausnahme sein soll, zumal vor dem Hintergrund einer nicht vorhanden unmittelbaren Bedrohung (wie sie im Zweiten Weltkrieg für Großbritannien vorhanden war).

Ökologismus vs. Ökomodernismus

Zum Glück gibt es auch noch andere Lösungsansätze. Ich möchte hier den Ökomodernismus oder Ökopragmatismus vorstellen. In meiner Wahrnehmung hat der Ökologismus oder Ökosozialismus starke religiöse oder/und ideologische Züge. Jede Entwicklung scheint den drastischer werdenden Klimawandel zu bestätigen und die Apokalypse scheint unvermeidbar. Mein Eindruck ist, dass für Ökoligisten, der politische Kurs und der als massiv wahrgenommen menschengemachte Anteil am Klimawandel nicht falsifizierbar sind.

Für sie sind keine Beweise oder neue Fakten denkbar, die ihre Ansicht in diesen Bereichen ändern würden. Das hat den Grund, dass es eben nicht Fakten oder Daten waren, die sie von der Position überzeugt haben. Es geht um Emotion und Spiritualität. Aber genug davon, die Beleuchtung der religiösen Tendenzen dieses oder anderer Auswüchse des Zeitgeistes werde ich sicher noch an anderer Stelle beleuchten.

Der Ökomodernismus ist, salopp gesagt, die Art von Umwelt- oder Klimaschutz, der sich bei einer Abwägung der Daten und Fakten ergibt. Patrick Moore oder Michael Schellenberger sind zwei prominente Vertreter dieser Ansicht. Der Blog “Tech for future” firmiert auch unter dieser Anschauung und kann von mir an dieser Stelle nur empfohlen werden. Der Ökomodernismus spricht, wie auch das IPCC, davon, dass eine Mischung aus Kernkraft, Gaskraftwerken und Erneuerbaren die Stromversorgung sicherstellen sollten. Dazu werden Ideen wie möglichst wenig Flächen zu versiegeln durch höhere Bauten und intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen propagiert.

In Summe könnte man sagen, der Ökomodernismus hält die freie westliche, kapitalistische Gesellschaft für mit dem Umwelt- und Klimaschutz vereinbar, er sieht den Menschen als Teil der Natur und nicht als außerhalb der Natur und geht davon aus, dass Technologie und Fortschritt die Lösung für Herausforderungen der knappen Ressource, Umwelt oder Klima sind statt Verzicht und Deindustrialisierung.

Umweltschutz ist Luxus

Umweltschutz interessiert den Menschen nur, wenn seine tieferen Bedürfnisse nach Unterkunft, Trinkwasser, Essen, Arbeit, Selbstverwirklichung und so weiter bereits erfüllt sind. Gesellschaften fangen an, sich mit Umweltschutz zu befassen, sobald sich ein solider Mittelstand entwickelt hat. Der Kampf gegen die Armut war in den letzten 150 Jahren sehr erfolgreich. Die Weltbank nutzt das Kriterium “weniger als 2 $ pro Tag” als Kriterium für Armut, um vor allem eine einfache Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten noch über 80 % der Weltbevölkerung in Armut, also mit weniger als 2 $ pro Tag. Damals lebten rund eine Milliarde Menschen auf dem Planeten. Heute leben weniger als 20 % der Weltbevölkerung in Armut. Bei über acht Milliarden Menschen wohlgemerkt. Aber der nächste Bevölkerungsboom, nach dem asiatischen der letzten 100 Jahren wird der afrikanische in den kommenden 100 Jahren sein. Und dort sind die heutig ärmsten Menschen zu finden.

Weltweiter Klimaschutz wird für Asien zu Teilen und für Afrika im Ganzen erst dann ein wirklich relevantes Ziel werden, wenn deren jeweilige Bevölkerung aus der Armut gehoben wurde und einen relevanten Mittelstand entwickelt hat. Kein Vater und keine Mutter wird auf den Ausstoß an CO₂ verzichten wollen, wenn der Preis Unsicherheit, Krankheit oder Chancenlosigkeit der eigenen Kinder ist, wie Konstantin Kissin in seiner sehr sehenswerten Rede vor der Oxford Union in seiner finalen Metapher anmerkte.

Was ist die mittlere Temperatur und messen wir diese korrekt

Seit Beginn der Diskussion zum Klimawandel ist die zentrale Größe die Entwicklung der weltweiten mittleren Temperatur. Nur um das nochmal klarzumachen, wir brechen das hochkomplexe und dynamische System Klima auf eine Größe runter, die mittlere weltweite Temperatur, und versuche diese durch die Limitierung einer anderen Größe, dem Ausstoß von CO2, zu regeln. “Sounds fishy”, wie der Engländer sagen würde.

Gehen wir kurz auf die gemessene Größe eine, der Temperatur. Können Sie mir sagen, wie diese gemessen wir? Nehmen wir die Temperatur am toten Meer und addieren sie mit der am Mount Everest und teilen das dann durch zwei? Und was sage uns dieses Ergebnis dann? Und wie messen wir die Temperatur? Zumindest das ist einfach zu vermuten, es gibt dafür spezielle Messstellen. 

Nehmen wir also die Werte der Messstellen und addieren diese auf und bilden einen Mittelwert? Noch nicht ganz. Als Erstes nimmt man einen Mittelwert, z.B. von 1950 bis 1980. Dann berechnet man, wie die Abweichungen der Messstelle von diesem Mittelwert sind. Und von diesen Abweichungen bildet man dann wieder den Mittelwert. Das ist zumindest die Methodik, die ich als Erklärung gefunden haben.

Nun fehlen aber hier und da Messwerte, vor allem aus der Vergangenheit. Und zusätzlich stieg die Anzahl der Messpunkte vor allem in den letzten 50 Jahren stark an. Vor allem in urbanen Bereichen kamen einige Messstellen hinzu. Dort kommt es aber zum sogenannten Wärmeinseleffekt. In einer aktuellen Studie haben Forscher versucht, mit aktuellen Modellrechnungen den Temperaturverlauf der Historie zu rekonstruieren. Dabei konnten die Modelle die historischen Verläufe der Temperatur nur schlecht nachbilden, sondern lagen tendenziell eher zu hoch.

Bereinigt man nur die Messwerte um die Messstellen der letzten Zeit, vor allem die Messstellen im urbanen Bereich der Wärmeinseln, so kommt man schon näher an die historischen Werte heran. Wenn man zusätzlich noch den Einfluss der Wolkenbildung erhöht (er liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich, hat aber über Jahrzehnte hinweg einen deutlichen Effekt) so können die Modelle die Verläufe der Temperaturen der Historie deutlich besser nachbilden. Das deutet darauf hin, dass es sein kann, dass aktuelle Modelle zu Simulation der Temperaturentwicklung für die Zukunft aufgrund des Wärmeinseleffektes und einer Unterschätzung des Einflusses der Wolkenbildung zu hohe Temperaturen liefern.

Macht korrumpiert

Ich stelle an dieser Stelle einmal drei Thesen auf, die für meine Weltsicht entscheiden sind:

  • Menschen sind alle gleich 
  • Jeder Mensch kann ein Arsch sein
  • Und Macht korrumpiert

Dem folgend geht es also zu einem gewissen Teil in der wissenschaftlichen Welt um Macht und deren korrumpierenden Effekt, oder anders, je mehr es um Macht und Einfluss geht oder diese vorhanden oder realisierbar ist, desto höher wird der Anteil der Menschen, die sich von dieser Macht korrumpieren lassen. Das ist im Bereich Klima sicherlich so.

Erstes Indiz war Climategate, also der E-Mail Hacking Fall aus dem Jahr 2009, aber auch andere Berichte über die Art und Weise wie der Peer-Review Prozess im Bereich Klima läuft. Eine kurze Erklärung: Mit Peer-Review ist gemeint, dass wissenschaftliche Papers in Magazinen, wie z.B. Nature, veröffentlicht werden. Diese werden von Wissenschaftlern der gleichen Zunft gelesen. Ziel dabei ist es, methodische Fehler in den Arbeiten zu erkennen. Wenn also eine Studie in einem prominenten Magazin veröffentlicht wurde, und es keine Beanstandung gab, so ist das der Goldstandard der Wissenschaft.

Meine Vermutung ist, dass es einen gewissen Anreiz speziell für junge Klimaforscher gibt, eher Ergebnisse zu produzieren, die das aktuelle Narrativ, und damit den Einfluss des IPCC, stützen, um den vorhanden Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu erhalten oder zu erhöhen. Auf der anderen Seite gibt es auch einen gewissen Anreiz für die Wissenschaftler, die die Studien, die veröffentlicht wurden, prüfen sollen (also die Peers in Peer-Review), Studien eher weniger genau zu prüfen, die den eigenen Einfluss sicher und Studien die dem machtsichernden Narrativ widersprechen, genauer zu prüfen oder sogar mit schlechten Begründungen abzulehnen.

Darüber hinaus gibt es auch viele “wissenschaftliche” Einrichtungen (z.B. Agora Energiewende), die Ergebnisse produzieren, die gar nicht in wissenschaftlichen Veröffentlichungen erscheinen wollen, also am Peer-Review-Prozess vorbeilaufen. Deren Ziel ist dann nur noch Stützung des politischen Narrativs. Auch der Bericht des IPCC hat eine gewisse Tendenz, zumindest kann die Tatsache, dass das Summary für politische Entscheidungsträger erstens deutlich besser lesbar ist und zweitens oft vor dem eigentlichen Bericht veröffentlicht wird, als Indiz gesehen werden.

Ich werde versuchen, den ein oder anderen dieser Stolpersteine in weiteren Artikel etwas genauer zu beleuchten. In Summe bringt mich die Kombination der Stolpersteine, die aus dem politischen und empirischen Bereich kommen, dazu, der Vehemenz, mit der gewisse “wissenschaftliche” Erkenntnisse und die eingeschlagene politische Richtung verteidigt werden, mit einer milden Vorsicht zu begegnen. Ich möchte schließen mit dem Zitat eines Vertreters einer gewissen Partei aus dem kommunalen Gremium, dem ich die Ehre habe anzugehören, welches, so glaube ich, gut zeigt, wie ideologisch man unterwegs ist:

“Sie müssen halt einfach an die Wissenschaft glauben!”

Der Schwätzer, oder Kategorie, Bedingung und Privileg

Eine typische Situation aus dem Alltag: Es ist morgens ca. 9:00 Uhr und man trifft sich in der Kaffeeküche. Es werden unverfängliche Themen diskutiert und von den individuellen Erlebnissen erzählt. Dabei kennt bestimmt jeder einen gewissen Typ Kollegen. Dieser Typ setzt gerne einen darauf und „toppt“ die eigenen Erzählungen. Dabei beansprucht er, bewusst oder unbewusst, die Privilegien einer bestimmten Kategorie ohne die notwendigen Bedingungen zu erfüllen. Sicher denkt jetzt der ein oder andere meiner Leser: Schön! Was meint der Autor denn nun schon wieder damit? Lassen Sie mich das gerne erläutern:

Kategorie zuerst

Menschen lassen sich entsprechend ihrer Eigenschaften, Fähigkeiten, Verhalten oder Interessen in Kategorien einteilen. Z.B. in die Kategorie „Groß“ oder „Klein“, in die Kategorie „Fußballer“ oder „Boxer“ oder in die Kategorie „Klaustrophober“ oder „Neurotiker“. Es ist nicht unüblich, dass sich Menschen im Gespräch an einer passenden oder auch unpassenden Stelle in eine beliebige Kategorie einordnen. „Ich bin übrigens auch Fußballer“, könnte so ein Satz lauten. Dann läuft bei den Zuhörern ein verständlicher Prozess ab. Jeder hat, aus Erfahrung oder auf Basis von Wissen, eine Vorstellung davon, welche Bedingungen die Zugehörigkeit einer Person zu einer Kategorie mit sich bringt. Eine solche Annahme bzgl. des Fußballers könnte unter anderem sein:

  • Die Person kann Fußballspielen
  • Die Person ist oder war in einem Verein aktiv
  • Die Person spielt immer noch in regelmäßigen Abständen Fußball

Dann Bedingung und Privileg

Sollte sich später herausstellen, dass die Person keine der Bedingungen erfüllt, werden die wenigsten Menschen die Person damit konfrontieren. Die meisten sehen wenig Nutzen in direktem Konflikt. Aber so gut wie alle Zuhörer der ursprünglichen Behauptung werden, wenn die Tatsache offenbar wird, dass die Person keine der Bedingungen erfüllt, im Gedächtnis speichern, dass die Person, gelinde gesagt, nur ein Schwätzer ist. Mit der Zugehörigkeit zu jeder Kategorie gehen gewisse Privilegien einher. Einem Fußballer wird mehr Aufmerksamkeit und seinen Aussagen mehr Gewicht geschenkt, bei einem Disput zum Thema Fußball. Mit der Behauptung einer gewissen Kategorie anzugehören, fordern Personen also, direkt oder indirekt, die Privilegien ein, die mit der Erfüllung der Bedingungen einhergehen.

„Sie können mir ruhig glauben, ich bin Programmierer.“ Hat nur eine Bedeutung oder seine Aussagen haben nur dann ein Privileg, wenn er tatsächlich die Bedingungen der Kategorie erfüllt.

Wenn es zu einer Kategorie keine Bedingungen gibt, außer der Aussage der Zugehörigkeit, dann erfüllt die Kategorie keinen Zweck, außer, scheinbar zumindest, die Privilegien für sich zu beanspruchen. Beraubt man eine Kategorie ihrer überprüfbaren Bedingungen, so verliert sie auch alle Privilegien und damit die Relevanz der Erwähnung.

Blotz

Nehmen wir z.B. an, dass es die Kategorie „Blotz“ gibt. Eine Person muss keine Bedingungen erfüllen, um „Blotz“ zu sein, außer zu behaupten, sie wäre „Blotz“. Niemand würde der Aussage „ich bin übrigens Blotz“ Beachtung schenken. Sie hat keinen Wert. Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie und das Wissen über die Zugehörigkeit einer Person zu einer Kategorie hat für Menschen einen Wert. „Hol Alex, der ist Ersthelfer“, hat einen klaren Mehrwert. Allerdings nur dann, wenn Alex auch wirklich die Bedingungen der Kategorie erfüllt.

„Blotz“ hat keinen Mehrwert. Die Aussage ist sinnentleert, da damit nicht die Behauptung einhergeht, man würde diese oder jene Bedingung erfüllen.

Wohin will ich damit eigentlich?

Mann und Frau

Wenn ich an die Kategorie „Frau“ oder „Mann“ keine Bedingung mehr knüpfe, außer, die Behauptung dieser Kategorie anzugehören, dann verliert das Wort bzw. die Kategorie jegliche Bedeutung. Wenn jeder eine Frau ist, der sich dazu erklärt, dann hat „Frau sein“ keinen Inhalt mehr. “Frauen und Kinder zuerst” wäre Sinn entleert. Jeder in einer ausreichenden Notsituation wäre sofort eine Frau.

An die Kategorie „Frau“ und „Mann“ Bedingungen zu knüpfen, ist notwendig. In der Vergangenheit waren diese Bedingungen so einfach, dass wir sie bereits 3-jährigen Kindern beibringen konnten.

Aktuell kann man aber den Versuch beobachten, die Zuordnung zu der Kategorie „Frau“ oder „Mann“ bedingungslos zu gestalten, ohne gleichzeitig auf die Privilegien zu verzichten. Die Aussage „Transfrauen sind Frauen“ zielt genau darauf ab, alle Privilegien, die Frauen genießen, auch Transfrauen zugänglich zu machen.

Die Bedingung in der Vergangenheit war, dass man weiblich sein musste, um eine Frau zu sein. Jetzt könnte man anmerken, dass ich das Problem der klaren Bedingung nur verschiebe, denn welche Bedingung muss denn für die Kategorie „weiblich“ erfüllt sein. Da sind wir wieder bei den 3-jährigen Kindern. Man erklärt es am Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser Geschlechtsmerkmale. Genauer, der primären Geschlechtsmerkmale. Da es aber sein kann, dass Menschen über gewisse primäre Geschlechtsmerkmale verfügen, aber dennoch nicht klar männlich oder weiblich sind, muss man etwas genauer werden. Aktuell wird das an den Gameten festgemacht, also ob ein Organismus Eizellen oder Samenzellen produziert, bzw. primär auf die Produktion des Einen oder Anderen ausgelegt ist.

Tatsächlich basieren die Privilegien einer Kategorie auf den Bedingungen. Einem Fußballer glaubt man eher beim Thema Fußball, weil er das Fußballspielen seit Jahren betreibt und verfolgt. Eine Frau genießt gewisse Privilegien in der Gesellschaft, weil sie gewisse Eigenschaften hat. Der instinktive Ausruf “Frauen und Kinder zuerst”, also der Ausdruck, dass besonders Frauen und Kinder schutzbedürftig oder überlebenswichtig sind, liegt die Tatsache der Fortpflanzung zugrunde. In einem Stamm kann ein Mann zur Not alle Frauen schwängern, aber eine Frau kann nicht gleichzeitig die Kinder aller Männer austragen. Für das biologische Überleben einer Gruppe sind also Frauen und Kinder entscheidend und Männer entbehrlich.

Wenn sich nun aber Männer als Frauen erklären dürfen, so genießen sie Privilegien, ohne dafür eine logische Grundlage zu haben. Frauen und Kinder sind besonders schutzbedürftig. Dieser Bedarf begründet sich unter anderem auch dadurch, dass Frauen und Kinder Männern körperlich unterlegen sind. Zusätzlich sind die aggressivsten und damit für andere gefährlichsten Menschen in einer Gruppe oder Gesellschaft, Männer. Auch im Bereich sexueller Gewalt sind Männer als Tätergruppe bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil stark überrepräsentiert.

Die Privilegien, vor allem der besondere Bedarf an Schutz, sind also begründet durch empirisch beobachtbare Tatsachen. Aktuell zwingt uns der Zeitgeist aber dazu, die subjektiven Emotionen einzelner oder sehr kleiner Minderheiten höher zu bewerten, als die durch Beobachtung begründete Realität.

Es ist wichtig, dass wir, als Gesellschaft, es auch Minderheiten ermöglichen, ein Leben entsprechend ihrer Empfindungen zu führen. Wir gehen aber zu weit, wenn wir Kategorien und Privilegien, die empirisch begründet sind, dem subjektiven Empfinden Weniger opfern. In einer freien, westlichen Gesellschaft darf kein Mensch erwarten, dass seine Empfindungen über sich oder die Realität, beobachtbare Tatsachen und darauf begründete Regelungen für alle Menschen außer Kraft setzen. Eine konsequente Anwendung dieses Prinzips, also die subjektive Empfindung höher zu werten als objektive Regelungen, macht ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Individuen in einer Gesellschaft unmöglich.

Jack Johnson, Mark Aurel und Opfermentalität

Kennen Sie Jack Johnson, den schwarzen Boxer, den der damalige Präsident Trump 2018 begnadigt hat? Er fügte sich nie in die Rolle als Opfer, die die Gesellschaft ihm aufbürden wollte. Johnson war verurteilt worden, weil er eine weiße Frau aus unmoralischen Gründen über eine Staatsgrenze gebracht hatte. Das ist nach dem Mann Act illegal. Johnson dominierte über Jahre das Schwergewichtsboxen und war über 10 Jahre lang unbesiegt. Johnson gilt als einer der einflussreichsten Boxer der Geschichte und das, obwohl er in einer Zeit von massivem Rassismus aufwuchs.

Von 1878 lebte er bis zu seinem Tod bei einem Autounfall 1946. Er war mit einer weißen Frau verheiratet und besaß ein Restaurant und einen Nachtclub und verdiente ein Vermögen durch Werbung.

Ich denke, wir können uns schnell einigen, dass es Anfang des 20ten Jahrhunderts mehr Rassismus in den Vereinigten Staaten gab als 120 Jahre später. Das N-Wort war nicht verpönt und bedeutete die öffentliche Untragbarkeit für jeden Weißen, der es benutzte. Es war die normale Bezeichnung für Afroamerikaner zu dieser Zeit. Man kann Johnson sicher so Manches vorwerfen, aber sicher keine Opfermentalität. Er zählt, nicht nur wegen seiner Erfolge im Boxen, sondern auch wegen seiner unbeugsamen Persönlichkeit nicht nur zu meinen Vorbildern, sondern war auch das Vorbild für Muhammed Ali. Ein weiterer Schwarzer, der sich weigerte, sich in die Opferrolle einzufügen.

Leider ist diese Mentalität im aktuellen Zeitgeist am Aussterben. Stattdessen wird von vielen Angehörigen unterschiedlicher Minderheiten der Opferstatus eingefordert und gepflegt. Es werden veraltetete Konzepte wie Sippenhaft bemüht, um Reparationen für die Sklaverei von Schwarzen zu fordern. Selbst in Deutschland wird immer häufiger unsere Schuld durch den Kolonialismus betont. Rein geschichtlich muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass von allen Kolonialmächten, die in Afrika tätig waren, die Deutschen eher geringen Einfluss hatten.

Auch heute noch Opfer von rassistischen Vorurteilen

Jeder, der sich im Ansatz mit Selbstverbesserung auseinandergesetzt hat, weiß, dass einer der entscheidenden Faktoren das Selbstbild und Selbstvertrauen ist. Durch die ständige Betonung der eigenen Hilflosigkeit und Opferrolle verhindert man durchaus effektiv eine positive Entwicklung. Bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch. Bezogen auf Abstammung und Rasse, oder allgemein Herkunft, existieren tatsächliche Nachteile. Mehrere Untersuchungen haben erwiesen, dass Mitbürger in Deutschland z.B. weniger häufig zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, wenn sie über einen arabisch oder türkischen Namen verfügen. Es gibt aber auch andere Vornamen, die zu einer Ungleichbehandlung führen, siehe Kevinismus.

Es gibt durchaus Erklärungen für dieses Verhalten. Dabei ist aber zu beachten, dass es Erklärungen sind, keine Rechtfertigungen. Die Erklärung, warum jemand ein Verbrechen begangen hat, ist ja auch keine Entlastung, sondern ist als Motiv teil der Beweisführung. Sieht man sich die Leistungen der Schüler mit Migrationshintergrund in den PISA oder arabische Länder in der TIMSS Studie an, wird es verständlicher, woher das Vorurteil kommt. Ob es bei Kevin oder Chantal ähnlich aussieht, entzieht sich meiner Kenntnis.

Markus Aurelius und die Stoa

Auch kein Opfer Markus Aurelius

Vielen ist sicher der Film Gladiator aus dem Jahr 2000 von Ridley Scott bekannt. In einer der ersten Szenen wird Markus Aurelius von seinem Sohn ermordet. Was weit weniger wissen dürfte, ist das besagter Markus Aurelius, eines der einflussreicheren Bücher der Philosophie geschrieben hat, die Metamorphosen. Dabei handelt es sich weniger um ein wirkliches Buch. Die Metamorphosen sind das Tagebuch des römischen Kaisers, in dem er sich mit der Entwicklung seiner Persönlichkeit beschäftigt. Er war Anhänger einer alten Philosophie, der Stoa.

Die Stoa, oder bekannter, der Stoizismus, strebt ein tugendhaftes Leben an. Vereinfacht gesagt empfiehlt der Stoizismus, sich auf das zu konzentrieren, was im eigenen Einflussbereich liegt. Der Spruch „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, dass eine vom anderen zu unterscheiden.“ trifft den Kern des Stoizismus ganz gut. Die Tugenden dieser Philosophie sind Mut, Bescheidenheit, Gerechtigkeit und Weisheit. Viele moderne Therapien und Ansätze zur Selbstverbesserung beruhen auf den Ideen der Stoa.

Was hat das jetzt nun wieder mit der Opfermentalität zu tun, werden Sie jetzt berechtigterweise fragen. Ich antworte mit einem anderen Zitat, diesmal von J.R.R. Tolkien: “I wish it need not have happened in my time,“ said Frodo. „So do I,“ said Gandalf, „and so do all who live to see such times. But that is not for them to decide. All we have to decide is what to do with the time that is given us.”

„Ich wünschte, es hätte nicht zu meiner Zeit geschehen müssen“, sagte Frodo. „Das wünsche ich mir auch“, sagte Gandalf, „und das wünschen sich alle, die solche Zeiten erleben. Aber es ist nicht an ihnen, das zu entscheiden. Wir müssen nur entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen, die uns gegeben ist.“

Sinngemäß schreibt Tolkien hier, dass wir uns die Zeit, in der wir leben, nicht aussuchen können, wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Das ist auch Inhalt der Stoa. Vieles, was unser Leben beeinflusst, können wir nicht ändern. Das Wetter, als einfaches Beispiel, oder die Reaktion von anderen Menschen auf uns. Eine falsche Interpretation der Stoa ist, dass wir diese Dinge sprichwörtlich stoisch durchstehen sollten. Darum geht es aber nicht. Wir sollten versuchen, unser Verhalten oder unsere Einstellung bezüglich dieser Dinge zu verändern. Das, was wir am besten in unserem Leben beeinflussen können, sind wir selbst.

Die Alternative zur Opfermentalität

Um hier wieder ein Missverständnis zu vermeiden, möchte ich klarstellen, dass ich überzeugt davon bin, dass einem als Schwarzer heute in Ländern wie den USA oder Deutschland immer noch Rassismus begegnet. Und dieser Rassismus hat auch einen wahrnehmbaren Nachteil für reale Menschen. Aber ich bin auch überzeugt davon, dass jeder Mensch mit Nachteilen zu kämpfen hat, die er nicht verändern kann. Wir haben nun die Wahl, wie wir damit umgehen. Finden wir uns mit der Opferrolle ab, in die uns der Zeitgeist zwingen will, oder werden wir zu einem Jack Johnson? Suchen wir im Geist in jedem Moment und in jedem Satz die Diskriminierung oder werden wir zu Menschen, die ihren Charakter entwickeln und sich selbst im Griff haben?

Ein weiter Anhänger der Stoa, Epitetk, formulierte es so: „Jede Person, die dich verärgern kann, wird dein Meister“ und Bruce Lee, ein weiterer Kampfkünstler, formulierte es so: „Bete nicht um ein einfaches Leben, bete um die Kraft ein hartes Leben zu ertragen“. Wir sollten weiter daran arbeiten, Vorurteile abzubauen und besser mit den Unterschieden anderer leben zu können. Wichtiger ist aber für jeden Menschen der Fokus auf die eigene Selbstverbesserung und nicht auf die Stellen, an denen ich noch Opfer bin. Denn wer diese Sucht, wird sie immer finden, auch wenn sie vielleicht gar nicht da sind.

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